Berlin. “Biblion“ und “philia“ - die griechischen Wörter für “Buch“ und “Liebe“. Aber Vorsicht: Nicht dass die Bibliophilie in eine Manie umschlägt! Denn solch ein Wahn könnte kriminelle Energien freisetzen.

In Corona-Zeiten werden bislang ungewohnte Blicke auf Bücherwände erlaubt. Im Hintergrund von Videokonferenzen zeigen sich mitunter bis dahin versteckte Leidenschaften für das Geschriebene. Manch einer mag sich zu den Bibliophilen zählen - doch die meisten werden folgenden Buchliebhabern nicht das Wasser reichen können.

REKORDHALTER: John Q. Benham aus Avoca im US-Bundesstaat Indiana soll die weltweit größte private Büchersammlung besitzen. Mehr als 1,5 Millionen Bände verzeichnet das Guinness Buch der Rekorde - in seinem Haus, in der Garage (die Platz für sechs Autos hätte), in einem zweistöckigen Gebäude und gestapelt unter einer Plane im Freien.

ACCESSOIRES: An diese Ausmaße kam die Bibliothek von Modezar Karl Lagerfeld zwar nicht heran, imposant war sie aber dennoch. 300.000 Bücher will der berühmteste Weißzopf der Welt besessen haben - die Hälfte davon Bildbände über Mode und Kunst. "Es ist wie eine Krankheit", sagte der Designer mit der ewigen Sonnenbrille wenige Jahre vor seinem Tod im Februar 2019 der "FAZ". "Aber ich möchte nicht von ihr geheilt werden." An mehreren Orten in Paris lagerte er die Bücher liegend statt stehend - weil das besser für deren Bindung und den eigenen Nacken sei. Nicht dass der Vatermörder knickt!

HEIMLICHKEITEN: Die französische Hauptstadt scheint ein gutes Pflaster für Bibliophile zu sein. So zog sich etwa Graf Raoul Leonor Lignerolles nach der Februarrevolution 1848 fast völlig aus dem gesellschaftlichen Leben zurück, um sich fernab der Öffentlichkeit seiner Sammlung zu widmen. Eine seiner Pariser Wohnungen war nur Bibliothek. Das besondere an Lignerolles: Er hielt sein Begehren im Verborgenen. Er sammelte, allein um zu verstecken. Nach bestimmten Werken gefragt, leugnete er gar deren Besitz. Ein Kaufangebot über zwei Millionen Francs soll er in den Wind geschlagen haben. Nach seinem Tod 1893 wurde der Schatz für 1,1 Millionen Francs veräußert.

BÜCHERMASSEN: Als biblioman gilt sicherlich der französische Notar und Lokalpolitiker Antoine Marie Henri Boulard. Um 1800 hat er Bücher ballenweise gekauft, die schließlich fünf (manche sagen sechs) Häuser in Paris füllten. Gelesen haben dürfte er davon nur einen Bruchteil. Erworben hat er die Bestände ganz legal. Nach seinem Tod wurden die teils unausgepackten Bände (die Zahlen schwanken zwischen 300.000 und 800.000) wieder zerstreut - was die Preise auf dem Antiquariatsmarkt damals empfindlich durcheinanderwirbelte.

BIBLIOKLEPTOMANIE: Doch es gibt auch ungesetzliche Energie unter Bücherwürmern. Zum Beispiel konnte der oberste Hüter der Biblioteca dei Girolamini in Neapel seine Langfinger nicht von den historischen Schätzen lassen. Direktor Marino Massimo De Caro klaute 2011 und 2012 von überall in Italien Werke, plünderte regelrecht das eigene Haus. Tausende Bücher verkaufte er illegal, darunter Schriften von Galilei, Kopernikus, Kepler und Newton - und ersetzte sie durch geschickte Fälschungen. Der Wert des Diebesguts wurde auf bis zu drei Millionen Euro geschätzt. De Caro musste sieben Jahre in Hausarrest, ein Großteil der Bücher tauchte wieder auf.

TÖDLICHE SUCHT: Doch es geht noch verbrecherischer: Anfang des 19. Jahrhunderts kam der Theologe Johann Georg Tinius 22 Jahre hinter Gitter, weil ihn seine Leidenschaft zum Mörder gemacht hatte. Bis zu seiner Inhaftierung im Frühjahr 1813 im damaligen Königreich Sachsen soll er an die 60.000 Bände gesammelt haben. Wenig wahrscheinlich ist, dass er auch nur einen Bruchteil davon gelesen hat. Für seine Sammlung hoffnungslos verschuldet beging Tinius Überfälle. Zwei davon endeten tödlich. Der Täter verbüßte seine Strafe, gestand aber die Verbrechen nie ein. Die Bücher kamen unter den Hammer - einer der Käufer: Johann Wolfgang von Goethe für die Jenaer Uni-Bibliothek.

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