Zürich. Ein eigenbrötlerischer Teenager hat eh schon wenig Bock auf Sommerurlaub mit der Familie. Dann beobachtet er den Suizid eines Jugendlichen - und die Ferientage unter glutheißer Sonne werden einmal mehr zur Qual.

"Erdrosselt werden dauert." Mit dieser simplen Feststellung begleitet Léonard den Tod eines Jugendlichen auf einem Spielplatz. Oscar hängt betrunken an den Seilen einer Schaukel. Er ist dabei, sich das Leben zu nehmen. Liebeskummer.

Léonard wird stiller Zeuge seines Sterbens. Danach bringt er die Leiche zu den Dünen, verbuddelt sie im Sand. Mit wenigen, aber eindringlichen Sätzen beschreibt Victor Jestin in seinem Romandebüt "Hitze" die Szene, die den Sommerurlaub an der französischen Küste mit Eltern und Geschwistern für Léonard zur Qual werden lassen.

Der Junge, selbst noch Teenager, hat eh schon keine große Lust auf die gemeinsame Zeit auf einem Campingplatz. Der Autor lässt ihn als schweigsamen Eigenbrötler auftreten, der über das Gelände streunt und in Ich-Form seine Gedanken preisgibt. Hin und wieder quält er sich auch mal durch Dialoge. Sei es mit der Mutter, die wissen will, was denn mit ihm los sei. Oder mit dem Vater, der wissen will, ob er denn ein Mädchen habe. Und dann auch mal mit Luce, die er tatsächlich kennenlernt und von der er - anders als bei vielen anderen - nicht sofort genervt ist. Es geht also auch um Sex, um Liebe, um Gefühle, um Enttäuschung. Man könnte sagen: klassischer Fall von Pubertät.

Aber Léonard ist noch introvertierter, noch verschlossener, noch verzweifelter als so manches klischeehafte Pubertäts-Paradebeispiel. Und er geht hart mit sich selbst ins Gericht: Leute seien nett zu ihm, "so wie man eine verkümmerte Pflanze aus Mitleid gießt", heißt es an einer Stelle. An anderer wirft ihm die Freundin seines Bruders "einen misstrauischen, ja, fast abfälligen Blick zu, als ob ein neuer Blickwinkel genügte, damit ich keine Autorität mehr hatte, sondern nur noch ein missratener, zurückgebliebener großer Bruder war, um einen Kopf größer, aber kleiner in allem anderen".

Über den beobachteten Suizid und das Versteck von Oscars sterblichen Überresten würde Léonard allerdings gerne sprechen. Mit irgendwem. Immer wieder nimmt er auf den rund 150 Seiten Anlauf. Beim Lesen bekommt man den Eindruck, bald müsste es aus ihm herausplatzen.

Doch seine Eltern hätten alles für die gemeinsamen Ferien getan, denkt er: "Seit zwei Wochen wartete ich darauf, dass ihr Urlaub vorbei sein würde, ich konnte ihn nicht jetzt noch mit Oscar verderben, mit Oscars in glücklichen Zeiten vergrabenem Leichnam. Also schwieg ich." Und immer wieder schweigt er.

Dem jungen Autor Jestin, Jahrgang 1994, gelingt es so auf unspektakuläre Weise, einen Spannungsbogen aufzubauen. Irgendwann fragt man sich, ob Lèonard jemals über Oscars Tod reden wird oder es wahrscheinlicher ist, dass dessen Leiche auf anderem Weg ans Tageslicht kommt. Gleichzeitig beschreibt er die Gluthitze des Sommers bei an die 40 Grad mit kleinen Elementen, viel fließendem Schweiß, so dass Leser auch davon unweigerlich ein Gefühl bekommen.

Erst zum Ende hin steigert sich dann die Intensität der Geschichte. Bei sich selbst bemerkt Léonard einen Wandel: "Ich hatte alles verloren, sogar meine kleinsten, unheilbaren Manien." Und er sucht die Konfrontation mittels Sticheleien: "Ich genoss den Augenblick. Ich wollte, dass alles aus dem Ruder lief." Es gibt eine Schlägerei.

Von dem beobachteten Suizid bis zur Abfahrt vom Campingplatz vergehen nur wenige Tage. Noch kürzer liest sich das Buch. Denn obwohl Léonard eigentlich so wenig wie möglich vom Leben um ihn herum will, nimmt das völlig ohne Rücksicht, dafür aber mit voller Wucht seinen Lauf.

- Victor Jestin: Hitze, Verlag Kein & Aber, 160 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3-0369-5828-6.