Nino Haratischwilis “Mein sanfter Zwilling“ schildert eine unmögliche Beziehung.

Mit 17 Jahren begann sie ein Studium der Filmregie in ihrer Heimatstadt Tiflis in Georgien. Und das auch nur, weil man sich nur alle zwei Jahren für ein Regiestudium am Theater bewerben konnte und sie ein weiteres Jahr hätte warten müssen. Doch das Theaterregie-Studium holte sie im Alter von 20 Jahren an der Theaterakademie in Hamburg nach. Zu einer Zeit, als sie bereits seit vier Jahren eine zweisprachige Theatertruppe, das Fliedertheater, in Tiflis leitete.

Nino Haratischwili, die heute 28 Jahre alt ist, die seit 2003 in Hamburg lebt, zögert nicht gerne. Ein dutzend Theaterstücke hat sie bereits geschrieben, zehn davon sind bisher aufgeführt. In Hamburg hat sie auf Kampnagel, im Lichthof-Theater und im Thalia Gaußstraße Regie geführt. Mehrere Preise sind ihr zuerkannt worden, darunter 2010 der renommierte Adelbert-von Chamisso-Preis. Mit ihrem ersten Roman "Juja" stand sie im vergangenen Jahr auch auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. "Die Zeit" schrieb damals: "Vor allem geht es hier um die große Kraft der Literatur."

Nur ein Jahr später hat Nino Haratischwili nun ihren zweiten Roman veröffentlicht, "Mein sanfter Zwilling", die Geschichte einer leidenschaftlichen, unmöglichen Liebe. Stella und Ivo, aufgewachsen wie Geschwister, kettet ein Familiendrama aneinander, das Schicht für Schicht aufgedeckt wird. Ihre Liebe ist voller Gier und Verzweiflung, dahinter verbergen sich Schuldgefühle, Schmerz und Verlust. Doch das Skandalöse ihrer Liebe besteht weniger im inzestuösen Charakter ihrer Beziehung - denn genau genommen sind Ivo und Stella gar nicht miteinander verwandt. Es besteht in Familiengeheimnissen, die besser unausgesprochen bleiben sollten. Schließlich haben sie zwei Familien völlig aus der Bahn geworfen.

Stellas Vater und Ivos Mutter hatten eine Affäre miteinander, obwohl beide anderweitig verheiratet waren. Während die Eltern im Schlafzimmer verschwanden, spielten die Kinder miteinander und beobachteten die Erwachsenen beim Liebesspiel. Bis eines Tages Ivos Vater von einer Dienstreise vorzeitig heimkehrt und seine Frau erschießt. Nichts ist danach mehr wie vorher. Ivo landet in Stellas Familie. Auch die Ehe ihrer Eltern geht auseinander.

Stella und Ivo sind Schicksalsgenossen. Sie gehören zusammen und kommen voneinander nicht los. Jeder Versuch ohne einander zu leben, sich den leidenschaftlichen Begegnungen, die ebenso gut im Bett wie im Streit enden können, zu entziehen, scheitert. Nach einer Trennung heiratet Stella, arbeitet in einer Redaktion, bekommt einen Sohn und lebt sieben Jahre ohne Ivo. Ivo lebt in ihrem Kopf weiter.

Natürlich kommt er eines Tages zurück in die Stadt, die Hamburg sehr ähnelt. Natürlich treffen sie sich wieder. Und natürlich kommt Stella von ihm nicht los. "Schon wieder glaubte ich ihm" schreibt Nino Haratischwili, "ich glaubte an unsere Vorstellung vom Glück". Sie verlässt Mann und Sohn, ihr geordnetes Leben, und geht mit Ivo, der als Journalist an einer Geschichte recherchiert, nach Georgien. Hier geht es zunächst politisch um die Vergangenheit, um Krieg und Unglück, das man einander zufügt. Doch genauso geht es um private Schicksale, um die Vergangenheit, die die Gegenwart dominiert, um Verletzungen, Trennungen und dass man Liebe nicht lenken kann.

Nino Haratischwili ist ein aufregender Roman gelungen. Eine Geschichte, der man mit Spannung folgt, die sich aber auch ins Familiäre zerfasert. Dass Nino Haratischwili schreiben kann, dass sie sprachmächtige Bilder findet, beweist sie hier erneut. Schließlich fesselt ihre Geschichte, die immer beides im Auge hat, Liebe und Leiden, Sehnsucht und Abstoßung, Kraft und Zerstörung. Man bestaunt diese Helden und die Macht ihrer Liebe. Aber man beneidet sie nicht darum. Sie raubt ihnen Ruhe, Alltag, Arbeitskraft und eigentlich alles, was ein normales Leben lebenswert macht. Aber ist das nicht genau das, was wir in der Literatur so gerne finden?

Nino Haratischwili Mein sanfter Zwilling, Frankfurter Verlagsanstalt, 380 S., 22,90Euro

Lesung : 18.9., 21 Uhr, "Cap San Diego", 12Euro