Paul Ingendaay zeigt in “Die romantischen Jahre“, wie ein Versicherungsvertreter sein Leben ergründet.

Wenn ein Autor, der nicht Rosamunde Pilcher ist, sein Buch "Die romantischen Jahre" nennt, ist natürlich klar: Romantisch im glückseligen Sinne ist hier gar nichts. Da mag sich auf dem Cover noch so formschön ein Pärchen küssen. Wer Paul Ingendaays neuen Roman liest, sollte eher an jenes Verständnis von Romantik denken, das das Subjektive, ewig Unfertige betont.

Ingendaay zeigt uns die Grenzen der Vernunft auf, in dem er seinen Protagonisten Marko Theunissen in eine möglichst festgezurrte Ordnung steckt. Ein schöner Kunstgriff. Ein bummelnder Literaturstudent sehnt sich nach Struktur und startet eine Laufbahn als Versicherungsvertreter in der niederrheinischen Provinz. Zu Beginn der Lektüre drängen sich Erinnerungen an hanswurstige Klinkenputzer auf, wie sie etwa in Jens Sparschuhs "Zimmerspringbrunnen" zu finden sind. Doch wie so häufig ist die Rahmenhandlung nur die Oberfläche, von der aus es in die Tiefe geht. Und wo gibt es in der Regel die meisten Abgründe und Irrungen zu finden? Genau, in der Verwandtschaft.

Nach und nach führt Ingendaay Markos Vater und Mutter, die ältere Schwester und den jüngeren Bruder ein, aber auch die Liebhaber der Eltern. Je nachdem, aus wessen Perspektive erzählt wird, ergeben sich diverse Interpretationen der Wirklichkeit. Über die frühe Hochzeit im Nachkriegsdeutschland, über die Trennung der Eltern und über die Entfremdung der Kinder, die darauf folgte, die als Fluchträume das Internat, die Ehe oder ferne Länder wählten, wählen mussten. Eine literarische Familienaufstellung, die zeigt: Die eine Wahrheit existiert nicht, unser Dasein ist von Legendenbildung geprägt.

Wie erdichten wir uns unser Leben, wenn wir anderen davon erzählen oder wenn wir still vor uns selbst Rechenschaft ablegen? Und lassen sich die Teile bergen, die unter Trümmern liegen? Über all das sinniert Ingendaay in pointierter, unaufdringlicher Poesie.

Paul Ingendaay: Die romantischen Jahre Piper, 480 Seiten, 19,99Euro

Lesung 20.9., 21 Uhr, "Cap San Diego", Karten 12 Euro