Die Welt der Romane ist bis heute eine weibliche - nur warum war das den Männern so lange ein Dorn im Auge? Eine Kulturgeschichte.

Hamburg. Lesen ist gefährlich, obwohl man doch dabei ganz still sitzt. Aber Lesen regt an, stachelt auf, verführt zum Nachfragen, zu Widerspruch. Lesen bedeutet vor allem, dass man Neues kennenlernt. Wussten Sie beispielsweise, dass Meta Klopstock, die Frau des Hamburger Dichters Friedrich Gottlieb Klopstock, eigentlich zur Dichterin geboren war? Wussten Sie, dass bereits im 18. Jahrhundert die Mehrzahl der publizierten Romane von Frauen geschrieben wurde? Und dass noch im 18. Jahrhundert in die Einbände mancher Romane Nadel und Faden eingelassen waren, um die Frauen an ihre eigentliche Bestimmung zu erinnern - nicht zu lesen, sondern den Haushalt in Ordnung zu halten?

Thomas Bleitner schenkt uns nun eine kleine Kulturgeschichte mit seinem Buch "Hamburgerinnen, die lesen, sind gefährlich". Darin lernen wir 16 Frauen kennen, die ihre literarischen und geistvollen Spuren in der Stadt hinterlassen haben. Klug, amüsant und erhellend ist das geschrieben, man erfährt vieles über die Gesellschaft, die Literatur und die Stadtgeschichte der vergangenen drei Jahrhunderte.

"Als eine Frau lesen lernte, trat die Frauenfrage in die Welt", sagte Marie von Ebner-Eschenbach, eine der bedeutendsten Erzählerinnen des 19. Jahrhunderts. Der Düsseldorfer Romantik-Chronist, Romancier, Diplomat und Biograf Karl Varnhagen von Ense schrieb damals: "In der Literatur geht es nicht wie in einer Teegesellschaft zu; die Literatur ist ein Schlachtfest und eine Schandbühne, es gibt Wunden und Stiche. Das Vergnügen an der Sache ist das Beste daran, wie bei der Jagd." Vielleicht haben Frauen deshalb so gerne gelesen: weil sie nicht aufs Schlachtfeld mussten, sondern sich Kriege, Kämpfe, Aufstieg und Untergang stellvertretend in der Literatur suchten. Während Männer zu allen Zeiten unterwegs waren, mussten die Frauen zu Hause bleiben. Wie aufregend war es dann, als sie sich die spannende Welt da draußen kurzerhand in einem Roman nach Hause holen konnten.

Man kann sich heute kaum noch vorstellen, was die Leselust, die zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert aufkeimte, für Aufruhr stiftete. Der Leser von Romanen war von Anfang an eine Leserin. Das Lesepublikum des 18. Jahrhunderts, also der Zeit, in die der Aufstieg des modernen Romans fällt, bestand vornehmlich aus Frauen. Die schönen Wissenschaften, "belles lettres", von denen sich unser Begriff Belletristik herleitet, entsprachen mehr der weiblichen als der männlichen Welt. Wohlhabende Frauen hatten mehr Zeit und Muße als Männer, denen die Welt der Literatur weitgehend fremd blieb.

Konservative Männer sahen im zügellosen Lesen einen Beleg für den unaufhaltsamen Verfall von Sitte und Ordnung. Aber auch für die Aufklärer bedeutete enthemmtes Lesen vorrangig sozialschädliches Verhalten.

Woran lag dieser Widerstand? Lesen vollzog sich im Geheimen, entzog sich der gesellschaftlichen Kontrolle. Die Frau, die liest, war gefährlich, denn sie eroberte sich nicht nur einen persönlichen Freiraum und ein unabhängiges Selbstgefühl. Sie machte sich ihr eigenes Bild von der Welt, das mit dem traditionellen und dem vom Mann vermittelten möglicherweise nicht übereinstimmte. Die Belletristik ist bis heute eine weibliche Domäne geblieben. Mehr als zwei Drittel aller Romanleser sind Frauen. Verleger und Buchhändler zucken bis heute zusammen, wenn es heißt, ein Roman sei ein "Männerbuch". In den allermeisten Fällen verkauft es sich dann nicht gut.

Nun also Hamburgerinnen, die ihre Spuren hinterließen. Meta Moller beispielsweise, so der Geburtsname von Klopstocks Frau, war eine von drei Töchtern einer wohlhabenden Hamburger Kaufmannsfamilie, geboren 1728 und aufgewachsen im geistigen Klima zwischen Aufklärung und Empfindsamkeit. Sie las französische, italienische, lateinische und englische Literatur. Früh schwärmte sie für Klopstocks Dichtung und hatte es sich in den Kopf gesetzt, den Autor persönlich kennenzulernen. Der Dichter, damals noch Hauslehrer in der Provinz, hielt dann in Hamburg, bei der gemeinsamen Lektüre des "Messias", Hand mit Meta. Sie schreibt: "Unsere Hände wurden heißer, immer heißer, ich fühlte sehr viel und ich glaube, Klopstock auch ... Er fragte, ob er nicht einen Kuss dafür verdient hätte. Ich sagte, ich küsse keine Mannsperson. Ich dachte, warum küsst der Affe dich denn nicht? Du kannst ihm den Kuss ja nicht geben!"

Entgegen der damals üblichen Praxis setzte sie die Liebesheirat mit Klopstock durch. Ihre Bildung verschaffte ihr hohes Ansehen in der Hamburger Gesellschaft. Sie war es, die ihren Mann in das gehobene Bürgertum der Stadt einführte, in die Häuser der Sievekings und Voghts, in denen er später umschwärmt wurde. Als er auf dem Weg zum Höhepunkt seines Ruhmes war, war er bereits Witwer. Nach zwei Fehlgeburten hatte Meta eine Totgeburt und starb nach der Operation. Eine ungewöhnliche Frau mit einem damals gewöhnlichen Schicksal.

Auch die Frau Lessings, Eva König, stammte aus einer Hamburger Kaufmannsfamilie, zumindest nach ihrer Heirat. Als Ehefrau des Kaufmanns Engelbert König hatte sie sieben Kinder zur Welt gebracht, von denen vier überlebten. Nach dem Tod ihres Ehemannes sollte sich Königs Freund Lessing um die Verwaltung des Erbes kümmern, versagte dabei aber kläglich. Eva König nahm alles selbst in die Hand, wurde zur erfolgreichen Geschäftsfrau, die nebenbei vier Kinder durchbrachte und eine neue Verbindung mit Lessing einging. Die finanziellen Grundlagen für eine Ehe hatte sie geschaffen. Eva Lessing, verwitwete König, geborene Hahn, überstand Kämpfe, hielt Schicksalsschläge und Reisestrapazen aus. Sie vermochte mit Worten so geschickt zu fechten, dass Lessing entzückt war. Nach langer Verlobungszeit heirateten die beiden 1776 im Alten Land, in Jork. Doch die Ehe dauerte nur ein Jahr. Eva König starb, wie auch Meta Klopstock, an den Folgen einer Geburt. "Ich wollte es auch einmal so gut haben wie andere Menschen, aber es ist mir schlecht bekommen", schrieb Lessing damals.

Man lernt noch viele Geschichten in Bleitners spannendem Buch kennen. Etwa die von Elise Reimarus, Tochter des Kaufmanns Hermann Samuel Reimarus, die gemeinsam mit Vater und Bruder die Mitglieder und Freunde der Patriotischen Gesellschaft in ihrem Elternhaus neben der Johanniskirche am heutigen Rathausmarkt empfing. Und die nach dem Tod des Vaters die Treffen als literarischen Salon fortführte. Der Reimarus-Kreis war weit über die Grenzen Hamburgs bekannt. Für Lessing und Mendelssohn war Elise Reimarus Lektorin, Agentin, Vertriebsmanagerin und Förderin. "Der Quellenwert ihrer Briefkorrespondenz ist enorm" schreibt Bleitner, "und macht sie zur vermutlich bedeutendsten Frau der Aufklärung in Deutschland".

Oder Amalia Schoppe, die sich als Verlegerin einen ebenso großen Namen machte wie als Vorkämpferin für Mädchenbildung. Ludmilla Assing, heute nahezu vergessen, war eine der wichtigsten Frauen der literarischen und politischen Avantgarde des 19. Jahrhunderts. Ihre Geschichte wird ebenso erzählt wie die der langjährigen Leiterin der Londoner Redaktion des Abendblatts, Clara Reyersbach, der "Zeit"-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff, der Gründerin des Bundes Hamburgischer Künstlerinnen, Ida Dehmel, der Tänzerin Lavinia Schulz, der Verlegerin Heidi Oetinger, der Schauspielerin Ida Ehre. Jede einzelne Lebensgeschichte ist ungewöhnlich und spannend. Und wenn man ehrlich ist, dann wusste man das alles vorher so gar nicht. Obwohl es doch Spuren gibt, die zu diesen Frauen führen. Wie schön, dass man das alles jetzt nachlesen kann.

Thomas Bleitner: "Hamburgerinnen, die lesen, sind gefährlich". 160 S. mit Abb., Elisabeth Sandmann Verlag, 12 Euro