Autor Daniel Erk untersucht in seinem Buch “So viel Hitler war selten“ die Verankerung Adolf Hitlers in der massenmedialen Gesellschaft.

Hamburg. Nationalsozialistischer Untergrund, mordende Neonazis, V-Leute , NPD-Verbot, Fremdenfeindlichkeit: Wir beschäftigen uns derzeit - notgedrungen und unter Hochdruck - wieder mit dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte. Und wieder mit dem Mann, der die Hauptrolle darin spielte: Adolf Hitler. Auch wenn es in Deutschland immer viel um die Zeit des Nationalsozialismus geht, kann man wohl sagen: So viel Hitler war selten.

Womit nicht gesagt ist, dass das personifizierte Trauma der Deutschen je in den Hintergrund gerückt wäre. Im Gegenteil: Hitler ist allgegenwärtig, aber längst nicht immer ist der Umgang mit der historischen Figur angemessen.

So zeigte ein Plakat der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt 2009 einen beinah nachdenklich aussehenden Adolf Hitler: den Blick unter der Uniformmütze nach oben gerichtet, die Jacke ist mit einem Pelzkragen veredelt. Daneben der Satz: "Wer Pelz trägt, hat keinen Respekt vor dem Leben." Das Plakat wurde für den Verein "Noah - Menschen für Tiere" entworfen. In der Kampagne ging es um den Schutz von Pelztieren. Das Plakat rückt die Träger von Kaninchenfelljacken in die Nähe von Massenmördern. Als "fahrlässig, wenn nicht töricht" bezeichnet Daniel Erk diesen impliziten Holocaust-Vergleich. Eins von unzähligen Beispielen, die der Autor in seinem in dieser Woche erscheinenden Buch "So viel Hitler war selten" zusammengetragen hat.

Erks Arbeit basiert auf seinem "Hitler-Blog", den er seit 2006 für die "taz" schreibt. Jede Woche erreichen ihn Hitler-Poster, Nazi-Analogien und Zitate aus Popsongs, viele davon abstrus und ohne historischen Zusammenhang. Die Idee seines Blogs ist, diese Vielzahl von Beispielen einzuordnen und darüber zu schreiben, an welche Mythen sie anknüpfen. "Hitler lebt. In uns, in unserer Gesellschaft, auf hohem kulturellen und wissenschaftlichen Niveau ebenso wie in den Niederungen von Werbung und Massenunterhaltung", schreibt Erk, der in Berlin und Göttingen Politik und Kommunikationswissenschaften studiert hat. Sein aus dem Blog entstandenes Buch ist eine Fallsammlung über die Banalisierung des Bösen. "Ich habe die Hoffnung, dass durch den Blog und das Buch etwas angeschoben wird und Leute darüber nachdenken, wie inflationär mit Hitler, dem Nationalsozialismus und dem Holocaust umgegangen wird", sagt Erk. Besonders eklatante Beispiele für den leichtfertigen Umgang mit Hitler-Darstellungen hat der Journalist in der Werbung gefunden und naheliegenderweise in Ländern, die nicht unmittelbar vom Holocaust betroffen waren. Ein Restaurant im indonesischen Jakarta warb mit einem Poster, auf dem Hitler sich breit grinsend über eine Fast-Food-Packung Nasi Goreng freut. Der Slogan dazu lautete: "Man kann ja nicht alles hassen." Erks Kommentar: "Angesichts solch simplifizierender Werbepräsenz verbreitet Hitler bald kaum größeren Schrecken als Gargamel von den Schlümpfen oder Kater Karlo."

Der Autor geht auch der Frage nach, ob man über Hitler lachen darf. Seine Antwort: "Im Prinzip ja." Entscheidend sei, dass die Witze eine gesellschaftliche Tragweite besitzen. "Es kann nicht die Aufgabe von Satire sein, vorgeblich allgemeingültige Normen von Geschmack und Schicklichkeit einfach abzunicken. Im Gegenteil. Kritische Satire will und soll diese ja gerade infrage stellen und hinterfragen und hat es seit jeher als ihre Aufgabe verstanden, Grenzen zu überschreiten und niederzureißen." Er listet eine ganze Reihe von politischen Satiren und provokativen Beiträgen auf, zum Beispiel aus dem Satiremagazin "Titanic", den TV-Sendungen von Harald Schmidt oder den Comics von Walter Moers . "In diesen Parodien wird Hitler als Privatperson gezeigt. Darin wird genau diese Beschäftigung vieler Medien ad absurdum geführt, die Kasse oder Auflage mit angeblichen privaten Details machen wollten. Die gefälschten Tagebücher im ,Stern' sind ein Beispiel dafür. Hitlers Beziehung zu Eva Braun bringt keine Erkenntnis über den Völkermord an den Juden", sagt Erk.

Bereits während des Dritten Reiches kursierten eine Reihe von Nazi-Witzen, die bis dahin berühmteste Persiflage drehte Charlie Chaplin 1940 in seinem Film "Der große Diktator"; sein Meisterwerk wurde zu einem wichtigen Vorbild für den späteren Umgang, Hitler mit dem Mitteln des Humors beizukommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg räumte Chaplin jedoch ein, dass er den Film wohl nicht gedreht hätte, wenn er von Auschwitz gewusst hätte. Als lächerlich zeigte Mel Brooks die Nazis 1968 in seiner Musicalkomödie "Frühling für Hitler". Der Film bedeutete damals einen Tabubruch. Zu Unrecht, findet Erk, denn persifliert werde die Phrasenhaftigkeit der NS-Propaganda und die übersteigerte Inszenierung von Adolf Hitler als allmächtigem Führer. In dieser Tradition stand auch "Mein Führer: Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler" des Filmemachers Dani Levy mit Helge Schneider in der Titelrolle. Levy konterte die Empörung über seinen Film: "Tabus dürfen gebrochen und die Grenzen des guten Geschmacks verletzt werden - solange das Gewissen auf der richtigen Seite steht."

In seinem Vorwort konstatiert Daniel Erk, dass er selber im Glashaus sitzt, weil Blog und Buch vom Faszinosum Hitler leben. "Freilich, der Grat ist schmal und das Dilemma groß." Doch der 1980 geborene Autor ordnet und interpretiert seine gesammelten Beispiele akribisch. Ausführlich befasst er sich mit den fast wöchentlich auftauchenden unsäglichen Hitler-Vergleichen und Nazi-Analogien und hat dazu eine seitenlange Liste mit Beispielen erstellt, er analysiert Popsongs und Kunstwerke von Beuys bis Kippenberger. Ihm geht es um die Rezeption von Hitler auf einer popkulturellen und künstlerischen Ebene. Das Buch ist ein Ansatz eines Nachdenkens über unseren Umgang mit der NS-Vergangenheit und ihren Symbolen.

Es ist eine weitere Farbe in einer natürlich viel breiter und tiefer gehenden Debatte über Schuld und Erbe und kollektive Verantwortung. Erk stellt implizit die Frage nach der Verantwortung des Systems und der Masse. Umfragen wie jene in der "Zeit" aus dem Oktober 2010, in der mehr als 40 Prozent der Teilnehmer angaben, die Masse trage keine Schuld an Krieg und Holocaust, nur ein paar Verbrecher hätten den Massenmord angezettelt, werden Historiker und Feuilletons noch lange beschäftigen. Die aktuelle Auseinandersetzung in Deutschland mit alt- oder neonazistischem Gedankengut kritisiert Daniel Erk derweil als "erbärmlich". In seinem Nachwort schreibt er: "Wenn nicht gerade Hitler draufsteht oder ein Hakenkreuz zu sehen ist, stören sich verblüffend wenige an Antisemitismus und Rassenhass oder an genereller Fremdenfeindlichkeit."

Daniel Erk: "So viel Hitler war selten", Heyne-Verlag, 240 Seiten, 9,99 Euro