Peter Stamm sucht in seinen Büchern nach menschlichen Abgründen - auch in seinem großartigen neuen Roman “Sieben Jahre“.

Peter Stamm ist ein Meister der Wahrnehmung. Als studierter Psychologe und Pathologe kennt er sich in Seelenkammern aus, aber erst über die Literatur ist er in sie vorgedrungen.

Sonja und Alex, der Ich-Erzähler in Stamms neuem Roman "Sieben Jahre", haben sich als Architekturstudenten in München kennengelernt und aus Vernunftgründen geheiratet. Es funktioniert, ihre Karrieren laufen, die gemeinsame Tochter hält das gut aussehende Paar zusammen und auf Trab, nach außen ist alles intakt.

Innen ist nichts intakt. "Vielleicht funktionierte unsere Beziehung ja gerade, weil wir uns nie wirklich nähergekommen waren", sinniert Alex. Da steckt er mittendrin in einer vertrackten Liebesgeschichte mit der Polin Iwona. Die ist weder so attraktiv noch so charmant wie Sonja, sondern intellektuell unterbemittelt und dazu stramm katholisch. Sie liefert sich ihrem Liebhaber aus in einer Weise, die diesen erst befremdet, ihn dann aber fasziniert und seine Macht spüren lässt. Aber auch Iwona übt ihrerseits Macht über ihn aus, in Szenen von Demütigungen, Selbsterniedrigungen und schier dämonischem Sex.

Es ist "das bedrohliche Gefühl von Freiheit", das Alex zu Iwona treibt. Bei ihr wird er geil, sucht aber auch Liebe und Zärtlichkeit, die unvermittelt eine gegenseitige Abhängigkeit nach sich zieht. Als Sonja in das fatale Dreiecksverhältnis hineingezogen wird, nimmt sie das zunächst scheinbar hin. Eine aberwitzige Geschichte zwischen Anziehung und Abstoßung, die auch dem Leser eine ganze Menge abverlangt. Da werden Menschen von ihren Gefühlswirren aus dem Alltag herausgehebelt, verschieben sich Zeit und Raum, hat alles eine doppelte Bedeutung.

Es ist die Sprache Stamms, die den Roman großartig macht. Verknappt bis zum Extrem, präzise, das Gefühlige strikt ausblendend, wo es doch um Gefühle geht. Dieser Autor will, dass seine Leser in seinen Geschichten ihre eigene Wirklichkeit orten, sie sollen sich nicht in die literarische Fiktion absetzen können. Er zwingt ihnen den eigenen Alltag auf. Tatsächlich, so heißt es in seinem Verlag, hätten frühere Bücher Stamms Paare zusammen-, aber auch auseinandergebracht. Auf Lesungen sagen ihm Zuhörer: "Das war meine Geschichte, das habe ich erlebt."

Das gelingt Stamm auf bezwingende Weise. Sein Buch hat etwas Aufklärerisches, aber auch Beklemmendes, mitunter Gruseliges. Peter Stamm macht seine Leser süchtig.

Peter Stamm: Sieben Jahre S. Fischer, Frankfurt 2009, 298 Seiten, 18,95 Euro