Schriftsteller Moritz Rinke ist Torjäger in der Autoren-Nationalmannschaft. Am 16. September treffen die deutschen Autoren-Fußballer im Millerntor-Stadion auf ihre Kollegen aus der Türkei.

Zum ersten Mal öffnet ein Bundesligastadion seine Tore für das literarische Publikum. Unter dem Motto "Kick and Read" treffen am 16. September im Millerntor-Stadion die Schriftsteller-Nationalmannschaften Deutschlands und der Türkei aufeinander. Um 18 Uhr messen beide Teams zunächst ihre Kräfte auf dem Fußballplatz. Im Anschluss lesen die Autoren in der Südtribüne des Stadions aus ihren Werken. Die Lesungen, Stücke und Musik-Acts finden an ungewöhnlichen Orten statt: Corny Littmann, Theaterbesitzer und Präsident des FC St. Pauli, öffnet für diesen Abend erstmals auch das Allerheiligste für die Literatur: die Umkleidekabinen, Logen und den Pressekonferenzraum. Orte, die ansonsten den Spielern, Trainern und Journalisten vorbehalten sind. Die Veranstaltung findet im Rahmen des Harbour-Front-Literaturfestivals auf Einladung der DFB-Kulturstiftung statt ("Kick and Read": Autorenländerspiel Deutschland - Türkei Millerntor-Stadion, 16.9.).

Hamburger Abendblatt:

Sie gelten als Torjäger der Autorennationalmannschaft. Wir haben extra beim DFB nachgefragt, 17 Tore in 22 Länderspielen, das ist besser als Klose und Podolski.

Moritz Rinke:

Na ja, vor denen stehen aber sehr sortierte Verteidiger, ich stürme ja nur gegen Belletristen, Lyriker, Dramatiker, aber mit denen kann man sich eben nach dem Spiel noch beschäftigen, das ist ja der eigentliche Sinn der Autorennationalmannschaft: internationale Begegnungen der Schriftsteller, Lesungen, Diskussionen. Der Fußball ist da eine wunderbare Brücke. Normalerweise ist es ja schon schwer, drei Autoren freiwillig an einen Tisch zu bekommen, aber seit vier Jahren gibt es die deutsche Autorennationalmannschaft, und wir treffen uns jede Woche.

Abendblatt:

Zum Training?

Rinke:

Ja. Eigentlich zweimal die Woche. Testspiele kommen auch noch dazu. Vor der WM 2007 in Schweden wurden wir drei Tage bei Hans Meyer in Nürnberg unglaublichen Fitnesstests unterworfen. Diesmal werden wir vom Trainer Jörg Berger vorbereitet. Wir sind die gesündesten Schriftsteller, die Deutschland je hatte.

Abendblatt:

Mittlerweile ist die Mannschaft ein offizielles Team des DFB und des Auswärtigen Amts. Es gab Spiele in Israel, Saudi-Arabien. Wie läuft so etwas ab?

Rinke:

In Saudi-Arabien mussten wir uns erst einmal auf die klimatischen Bedingungen einstellen. Wir haben da quasi in der Wüste gespielt. Was uns natürlich besonders interessierte: Wie leben die jungen saudischen Schriftsteller, denn deren Literatur ist ja selbst bei deutschen Orientalistik-Professoren unbekannt. Wir fragten uns, wie das überhaupt geht, Schriftsteller zu sein in einer absoluten Monarchie ohne Bürgerrechte. Wie kann man dort schreiben? Inwieweit dürfen wir als Schriftsteller uns nach so etwas wie Reformen erkundigen? Öffentliche Hinrichtungen, Peitschenhiebe, keine Anwälte, das ist doch sehr fremd. Am Ende hatten wir aber herausgefunden, dass es kaum Autoren gab in Riad, wir spielten gegen eine hoch motivierte Truppe aus saudischen Talenten und ehemaligen Profis.

Abendblatt:

Nun sind die Türken zu Gast am Millerntor. Es scheint bei der Auswahl der Gegner ein Konzept zu geben?

Rinke:

Ja. Wir haben zusammen mit einigen europäischen Mannschaften die "Writers League" gegründet: Schweden, England, Italien, Ungarn, Österreich, Finnland, Dänemark sind unter anderem dabei, aber wir wollen das politisch noch ausweiten.

Abendblatt:

Wer kommt aus der Türkei?

Rinke:

Das Team hat sich neu gegründet, die Türken stehen noch ganz am Anfang. Es kommen Autoren wie Can Oz, Hakan Yel und Bariþ Biçakçi oder Harun Tekin, der auch Sänger, Texter und Songwriter ist.

Abendblatt:

Wer ist Favorit?

Rinke:

Ich glaube, diesmal müssen wir mit der Favoritenrolle leben. Die Türken haben auch Verletzungssorgen. Der Romancier Alper Caniguz hat sich das Bein gebrochen. Autorenfußball ist nicht ganz ungefährlich. Allerdings sind wir unberechenbar, Hans Meyer, die Trainerlegende, hat mal über uns gesagt: Manchmal blitzen geniale Momente auf und man denkt, die Jungs hätten ihren Beruf verfehlt. Manchmal kommen wir selbst in die Versuchung, das zu glauben. Unser Torwart Ostermaier war neulich mit Oliver Kahn im "Aktuellen Sportstudio"! Auch der "Kicker" schreibt über uns, der "Kicker"! Sönke Wortmann, der mitspielt, weil sein "Sommermärchen" ebenfalls als Buch erschien, organisierte einmal den Nationalmannschaftsbus. Wir wurden auf der Autobahn von Bundesbürgern in Pkws bis zum Hotel verfolgt und trauten uns nicht auszusteigen. Wir blieben so lange sitzen, bis die Leute wieder wegfuhren, damit wir in deren Geiste die bleiben, die wir nicht sind. Man könnte über uns sagen: Es gibt keine Mannschaft, über die so viel berichtet wird und die im Verhältnis dazu fußballerisch so schlecht ist.