Corona-Krise

Das Leiden der jungen Musikerinnen und Musiker

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Marcus Stäbler
Auch Geigerin Elisabeth Schneider trifft die Corona-Krise hart.

Auch Geigerin Elisabeth Schneider trifft die Corona-Krise hart.

Foto: Christian Helmle

Gerade der Nachwuchs ist vom Berufsverbot in der Corona-Krise hart getroffen – nicht nur finanziell, sondern auch emotional.

Hamburg.  „Seit ich sechs Jahre alt bin, spiele ich Geige. Jetzt bin ich 26. Schon einige Jahre konnte ich als Freischaffende im Klassik-Betrieb gut leben. Bis die Pandemie einschlug. Die Gedanken, die ich jetzt nicht mehr unterdrücken kann: ,Vielleicht wäre ein sicherer Beruf besser‘ oder ,Wie soll ich so eine Familie gründen?‘ … Das Zweifeln schmerzt, denn Musikerin zu sein ist etwas, was aus meinem tiefen Innern kommt und etwas, was ich nicht verlieren will.“ Mit diesen eindringlichen Worten beginnt eine Bestandsaufnahme der Geigerin Elisabeth Schneider, die 2015 zum Studium nach Hamburg gekommen ist. Weil Schneider erst am Beginn ihrer Laufbahn steht, trifft sie die Corona-Pandemie besonders heftig.

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Und damit steht sie nicht allein. Um die schwierige, teilweise dramatische Situation von jungen Musikerinnen und Musikern zu dokumentieren, hat Elisabeth Schneider ihre Lage in einem selbstverfassten Text geschildert – und Kolleginnen und Kollegen angeregt, es ihr nachzutun. Die meisten kennt sie aus der gemeinsamen Studienzeit an der Hochschule in Hamburg.

Das Resultat ist eine berührende Sammlung von zehn persönlichen, emotionalen und zugleich sehr reflektierten Botschaften. „Es geht mir in Anbetracht der Situation erstaunlich gut, was bedeutet, dass ich gut im Verdrängen bin“, schreibt etwa der Schlagzeuger Kolja Heide, 29 Jahre alt. „Ich denke nicht, dass es gesund ist zu verdrängen. Andererseits könnte ich mich ansonsten nicht wirklich auf das Spielen, Üben und Arbeiten konzentrieren. Und das ist in dieser Zeit das Einzige, was ich wirklich in der Hand habe. Zu spielen und zu arbeiten, trotz Corona.“

Viele Texte beeindrucken mit ihrem Behauptungswillen

Ihr Durchhaltevermögen und die starke Selbstdisziplin in Anbetracht der schwierigen Umstände speist sich bei den jungen Autorinnen und Autoren nicht allein aus persönlicher Leidenschaft, sondern auch aus einem Bewusstsein für den gesellschaftlichen Wert ihres Tuns. „Musik ist nicht nur für uns wichtig, sondern für so viele Menschen – und zwar gerade jetzt!“, schreibt die Trompeterin Emilia Suchlich, 23, unter der Überschrift „Üben Sie weiter, hier gibt es nix zu spielen“, und beruft sich auf die Dankbarkeit und Freude von Hörerinnen und Hörern, „denen eine halbe Stunde Musik Energie für einen Monat gegeben hat.“ Die 32 Jahre alte Sängerin und Songschreiberin Katia Wort betont: „Kunst ist ein Lebensmittel, und un­-
sere Seelennahrung ist dabei, zu verderben.“

Viele Texte beeindrucken mit ihrem Behauptungswillen, ohne dabei die dunklen Phasen zu verschweigen. „Meine Kreativität, mein Elan, meine Lebensfreude liegen am Boden“, bekennt etwa die Geigerin Nora Schreckenschläger, 28. „In Momenten, in denen sie kurz aufstehen, blitzt mein ,altes Selbst‘ durch – ich bin jedes Mal wieder überrascht und brauche eine Weile, um mich wiederzuerkennen.“

Viele Texte unter dem Account „Pandemieklang“ auf Instagram

Die 21-jährige Geigerin Sophia Eschenburg hat ihren Beitrag in kurzen, einsätzigen Ich-Botschaften verfasst: Ich fühle mich ängstlich. Ich fühle mich still. Ich fühle mich schwach. Ich fühle mich passiv.“ Sie kontrastiert die Aufzählung von 20 emotionalen Zuständen mit dem Blick auf das enorme Potenzial der Musik: „Ich könnte Trost spenden. Ich könnte Hoffnung schenken. Ich könnte da sein. Ich könnte Emotionen freisetzen.“

All diese Texte zu lesen, die jetzt größtenteils unter dem Account „Pandemieklang“ auf Instagram gepostet sind, hinterlässt einen starken Eindruck. Auch bei der Initiatorin Elisabeth Schneider selbst, wie sie bekennt: „Es hat mich sehr berührt, in diesen kleinen Kosmos reinschauen zu dürfen. Natürlich kann man darüber auch sprechen – aber ein geschriebener Text hat noch mal eine andere Wirkung, wenn man das schwarz auf weiß liest und die Dinge vielleicht auch noch mehr auf den Punkt bringt. Ich bin mir jedenfalls sicher: wir müssen das sichtbar und hörbar machen!“

Die Musiker und Musikerinnen fühlen sich allein gelassen

Genau das ist für viele Menschen, natürlich nicht nur im Kulturbereich, ein elementares Problem während der Corona-Pandemie: dass sie nicht annähernd in dem Maße gesehen, ernst genommen und auch unterstützt werden, wie sie es verdient hätten und wie es in anderen Branchen längst der Fall ist. „Ach, hätten wir Musiker doch auch einen Karl-Heinz Rummenigge.

Er könnte für uns ein gutes Wort bei den Mächtigen einlegen und daran erinnern, dass Orchester und Ensembles wichtig für ganz Deutschland sind“, seufzt die Schlagzeugerin Sarah Rempe stellvertretend. Und der Hornist Jacob van Schalk stellt klar: „Ich bin einverstanden mit Lockdown, Impfungen und Hygienemaßnahmen. Ich bin aber nicht damit einverstanden, immer weiter im Regen stehen gelassen zu werden, unter einem Himmel, der sich nicht mal überlegt, wieder aufzuklaren.“

Menschen und Berufsgruppen ohne mächtige Lobby haben gerade einen besonders schweren Stand, das ist nach mehr als einem Jahr mit der Pandemie ganz klar. Aufgeben komme für sie trotzdem nicht infrage, sagt Elisabeth Schneider: „Corona hat mir noch mal gezeigt, dass ich es wirklich will, dass ich Musikerin sein muss. Es ist mein Leben.“