Stemwede/Berlin. Stahlexperten in Stemwede schweißen das Freiheits- und Einheitsdenkmal für Berlin zusammen. Noch bevor die Metallbauer fertig sind, bahnt sich neuer Ärger an.

Für das wiedervereinigte Deutschland ist die Halle zu klein. Das Einheitsdenkmal kann Richard Rohlfing selbst in seinen enorm großen Werkstätten nicht komplett zusammenschweißen lassen.

Nun wachsen unter den hohen Hallendecken des Stahlbauerunternehmers zunächst 32 Einzelteile, jedes für sich schon ein Metallkoloss. So entsteht Naht für Naht in Stemwede im ländlichen Grenzbereich zwischen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen das Freiheits- und Einheitsdenkmal für Berlin.

Die rund 50 Mitarbeiter von Rohlfing sind einiges gewohnt. Zwar spricht der Chef gern mal von "Carports", die der "reine Dienstleister" hier sonst produzieren würde. Allerdings hat schon manch großes Projekt von hier aus seinen Weg in die internationale Kunstwelt gemacht. Der begehbare Ring "Your Rainbow Panorama" etwa, den Olafur Eliasson 2011 auf das Dach des Museums für moderne Kunst in Aarhus setzte, entstand in Stemwede. Auch der riesige Stahlbrocken von Stefan Sous vor dem Bundesnachrichtendienst in Berlin kennt die Hallen. Oder die spektakuläre Plattform "Horizon Field Hamburg", die Antony Gormley 2012 in die Deichtorhallen hängte.

Und ziemlich viele Brücken. Nebenan entsteht gerade eine für Recklinghausen. "Jede Brücke ist ein Unikat", sagt Carsten Balshüsemann. Der Metallbauer gehört zum Team von Rohlfing. Zu seinen Werkstücken zählt neben der Brücke jetzt auch das Freiheits- und Einheitsdenkmal für Berlin. Der 36-Jährige beschreibt das Besondere an diesem Projekt: "Das ist was außer der Reihe", sagt er. Hier in Stemwede sei es zunächst die Arbeit am Metall, hinterher "mit den Menschen in Berlin" werde das Besondere der Konstruktion sichtbar.

Auf dem Sockel des früheren Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals vor dem Humboldt Forum in Berlins Mitte soll das "Bürger in Bewegung" genannte Denkmal in Form einer riesigen begehbaren Waage an den friedlichen Weg zur Deutschen Einheit erinnern. Wenn etwa 20 Menschen mehr auf einer Seite der Schale sind, neigt sich diese Hälfte. Nach den Vorstellungen des Stuttgarter Architektenbüros Milla & Partner öffnen sich durch die sanfte Bewegung neue Perspektiven, wenn die Denkmalbesucher sich verständigen und gemeinsam handeln - wie 1989.

Vor dem Aufbau in Berlin gibt es den Crashtest in Stemwede. Auf dem Hof vor den Hallen werden die 32 Teile wohl im Sommer zunächst zusammengesetzt. Schon dann muss die Konstruktion halten, was die Idee verspricht. 120 Tonnen Stahl verteilt auf 50 mal 18 Meter.

Nach neuen Problemen steht Sebastian Letz, Kreativdirektor bei Milla & Partner nicht der Sinn. Das Einheitsdenkmal gehört zur Phalanx jener Berliner Projekte, bei denen Gedanken an eine Fertigstellung wegen jahrelanger Probleme ins Irreale zu führen scheinen.

Nach ersten Ideen einer Initiative 1998 beschließt der Bundestag 2007 zunächst das Denkmal. Ein Wettbewerb scheitert. Nach der zweiten Ausschreibung wird vor zehn Jahren (13.4.2011) das Milla-Konzept gekürt. Es folgen Meinungsverschiedenheiten im Siegerteam, Bedenken von Denkmal- und Tierschützern, Streit um den Standort, gesperrte Finanzen, Plagiatsvorwürfe. Schließlich genehmigt der Bundestag 17 Millionen Euro mit Festpreis für das, was Kritiker als "Einheitswippe" bezeichnen.

Einheitserinnerung hat es auch andernorts nicht immer leicht. In Leipzig, Wiege der Montagsdemonstrationen 1989, wird seit 2008 nach einer Lösung gesucht. Ein Entwurf aus 70.000 bunten Würfeln wurde nach jahrelangem Streit 2014 auf Eis gelegt.

Es gibt andere Stätten der Erinnerung. Mit zwei ineinander greifenden Händen symbolisiert die Skulptur "Le Voute des Mains" seit 1995 an der alten Autobahn-Grenze zwischen Helmstedt und Marienborn die Einheit. In mehr als 280 Städten und Kommunen stehen jeweils drei Bäume im Dreieck für die Einheit: eine Kiefer für Ost, eine Buche für West, eine Eiche für das geeinte Deutschland. München hat ein stilisierte Mauersegment mit Einheitslöchern, in Zwickau hat die Künstlerin Erika Harbort ein Originalteil der Mauer zum Denkmal erweitert. Andere Stätten finden sich in Plauen, Magdeburg, Gifhorn oder Geisa. In Potsdam und Waren sind weitere geplant.

Berlin ist Hauptstadt, deswegen baut der Bund hier das Denkmal. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) wollte es gern zum 30. Jahrestag des Mauerfalls 2019 fertig haben, auch das entsprechende Jubiläum der Einheit ein Jahr später hat nicht geklappt.

Nun soll es 2022 soweit sein. Der Zeitplan scheint zu stehen. "Die Bauarbeiten gehen gut voran. Die Planungen sehen eine Fertigstellung im Winter vor", sagt Letz. Nach abschließenden Arbeiten am Sockel rechnet er im Frühjahr mit der Eröffnung.

Die Berliner Baustelle ist allerdings immer für eine Verzögerung gut. Erst musste das Humboldt Forum nebenan wachsen, unter der Erde hatte eine neue U-Bahn-Station Vorrang. Am Sockel für das Denkmal wurden überraschend entdeckte Mosaike aus der Kaiserzeit geborgen, darunter im Gewölbe musste ein Völkchen seltener Wasserfledermäuse aus Tierschutzgründen umgesiedelt werden.

Zudem liegt neuer Ärger in der Luft. Nach jüngsten Berliner Bebauungsplänen rücken dem Denkmal mehrere Fahrradständer recht nah auf die Pelle. "Große Sorgen" bereitet Letz zudem der geplante Aufzugturm einer Freitreppe zum Spreekanal direkt neben dem Denkmal. "Darüber hinaus hat die Treppe inzwischen Dimensionen angenommen, welche den Weg entlang des Ufers zum Denkmal eher blockiert als bereichert." Das muss nun zwischen Bund, Berlin und Denkmalbauern geklärt werden. Viel Zeit bleibt nicht. Die Stahlbauer aus Stemwede wollen die Denkmalkonstruktion in Berlin auf den Sockel heben.

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