Solidar-Aktion

Rockstars bitten zu Tisch: Kunst in Lokal-Schaufenstern

| Lesedauer: 7 Minuten
Stefan Reckziegel
Im Barmbeker Herzstück sind Ole Ohlendorffs (M.) Bilder von Lindenberg, Niedecken, Campino und Maffay (v.l.) zu sehen. Sie sind auch zu kaufen.

Im Barmbeker Herzstück sind Ole Ohlendorffs (M.) Bilder von Lindenberg, Niedecken, Campino und Maffay (v.l.) zu sehen. Sie sind auch zu kaufen.

Foto: Picnetics

Bei der solidarischen Lockdown-Aktion „Unser Schaufenster für Eure Kunst“ zeigen Hamburger Restaurants Bilder norddeutscher Maler.

Hamburg.  Es hat ja was, wenn bekannte deutsche Rockstars in Barmbek-Nord Halt machen – und das in Zeiten von Corona sogar in geballter Form als Viererpack. Geht nicht? Geht doch. Sagte sich der Künstler-Agent Hanno Maack: Warum nicht zwei Branchen, die erneut unter der pandemiebedingten Schließung leiden, zusammenbringen; die Kultur und die Gastronomie? Alles unter der Devise: Besondere Zeiten erfordern besondere Aktionen.

Lockdown-Aktion „Unser Schaufenster für Eure Kunst“ in Hamburg

Und so blicken einem beim Gang entlang der Pestalozzistraße derzeit unverhofft Udo Lindenberg, Wolfgang Niedecken, Campino und Peter Maffay an. Sie singen zwar nicht, stehen jedoch als Bilder im Fenster des Barmbeker Herzstücks – eines Lokal, das die neue Inhaberin Alexandra Lübeck Anfang November übernahm, just als der „Lockdown light“ begann.

Wie alle Restaurant-Betreiber darf sie zurzeit allenfalls Speisen außer Haus verkaufen. Sie fand sogleich an Maacks Idee einer künstlerischen Kooperation Gefallen, und so wurde die erste Bildausstellung bei ihr installiert. „Unser Schaufenster für Eure Kunst“ hat Hanno Maack seine Aktion plakativ genannt.

„Wieso nutzt man nicht die leerstehenden Räume und Fensterfronten an den Laufwegen, um Künstlern eine Präsentationsfläche zu geben?“, fragte er sich. „Dies stellt einen Mehrwert für die Kunden und Umgebung dar.“ Her mit Hinguckern also.

In Eppendorf sind die Stones hinter einem Tisch platziert

In Eppendorf bitten sogar die Rolling Stones zu Tisch. Wie auch die vier deutschen Stars gemalt vom Künstler Ole Ohlendorff als Teil seiner Porträt-Serie „Rock Legends Alive“. Als Hanno Maack tagsüber im Restaurant Stüffel am Isekai kürzlich die Bilder von den Stones mitinstallierte, wunderte er sich, warum Ohlendorff draußen so lange beschäftigt war.

Eine Dame, etwa Mitte 50, gut situiert, blieb mit ihrem Hund vor dem Fenster stehen und betrachte fasziniert die Bilder von Mick Jagger und Co. Sie öffnete ihren Mantel und zeigte dem verblüfften Maler begeistert ihr Shirt vom Stones-Leadgitarristen Keith Richards und versicherte, sie wollen nun jeden Vormittag hier vorbeischauen.

Solidaritätsgedanke steht im Vordergrund

Es sind solche „geilen Vibes“, wie Hanno Maack es formuliert, die ihn bestärkt haben, seine Idee möglichst auf weitere Restaurants in anderen Stadtteilen auszuweiten. Von der Aktion „Kunst im Schaufenster“, die seit einigen Jahren als Wettbewerb um den altonale-Kunstpreis in Altona und Ottensen läuft, hat Maack zwar schon mal gehört, für ihn steht aber der Solidaritätsgedanke im Vordergrund.

Der „Lockdown light“ wird schließlich noch andauern. Und wenn es draußen dunkel ist, die Rolling Stones dann im Fenster des Stüffel hinter dem kunstvoll illuminierten Tisch auf der Staffelei stehen, hat das Stil. „Der Fünfte im Bild, das ist ja gar kein Stone“, bekommt Ohlendorff über die sozialen Netzwerke jetzt öfter mal zu lesen. Mit seinem Piratentuch am Kopf und Kinnbart ist der Künstler aus Winsen/Luhe selbst mittendrin in den Schaufenstern.

Ohlendorffs Original-Lindenberg kostet 100.000 Euro

Zusammen mit Ohlendorff (62) hat Maack (50) reiflich überlegt, welche Werke nach Barmbek-Nord passen könnten. Dort sollten es Porträts von Künstlern mit gewisser Bodenhaftung sein, und für Eppendorf schienen die Stones besser zu passen.

Zu sehen sind die Bilder in Originalgröße als Fine-Art-Prints. Sie kosten als Sonderpreis 450 Euro, der Preis für einen Druck auf Leinwand von Lindenberg – er ist in Hamburg eben immer noch angesagt – liegt bei 1750 Euro. Das Lindenberg-Original-Gemälde mit Unterschriften von Udo und dem Panikorchester soll sogar 100.000 Euro kosten – Ole Ohlendorff hat es an einem sicheren Ort gelagert.

Bilder bereits beim Reeperbahn Festival zu sehen

Ansonsten hingen und standen die Bilder des Künstlers aus dem Landkreis Harburg bisher in privaten wie öffentlichen Sammlungen und im Rolling-Stones-Museum in Lüchow im Wendland. Sie waren schon bei der W.O.A: Wacken Foundation und dieses Jahr beim Reeperbahn Festival in einem Zelt auf dem Heiligengeistfeld zu sehen.

Die Machart? „Ich mische alles“, sagt Ohlendorff. „Öl, Acryl, Dispersionsfarbe, Collagen – und etwas Heimaterde!“ Sein Gemälde vom Ex-Nirvana-Sänger Kurt Cobain, der sich 1993 per Kopfschuss tötete, hat Ohlendorff eigens mit Schrot beschossen.

Aus der Food Lounge grüßt Jimi Hendrix

Jenes Bild stammt aus seiner zweiten Serie „Dead Rock Heads“. Sie umfasst bereits 154 Köpfe. Mit Teilen derer hat der Maler am Montag ein Lokal an der Bergedorfer Straße bestückt. Aus dem Schaufenster der Food Lounge grüßen fortan Jimi Hendrix, Lemmy Kilmister (Gründer von Motörhead), Johnny Guitar Watson und John Lee Hooker.

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Food-Lounge-Betreiber Ben Péporté, ein kunstaffiner Luxemburger, bietet zwar gar keinen Außer-Haus-Verkauf, hat seinen Raum aber kostenlos zur Verfügung gestellt. „Wenn ich den Leuten beim Flanieren oder beim Warten ein Lächeln aufs Gesicht zaubern kann, freut mich das“, sagt Ohlendorff. „Für viele sind die Bilder Erinnerungen an ihre Jugend, und wir geben dem mit der Aktion Nahrung.“

Günter Vogel zeigt in Barmbek-Nord „Köpfe“ aus dem Club 27

Das Barmbeker Herzstück hat nämlich sein zweites großes Schaufenster für einen weiteren Künstler freigemacht: Der Maler Günter Vogel aus Neumünster stellt dort seit dieser Woche aus seinem Zyklus „Köpfe“ einige Acryl-Bilder von Stars des sogenannten Club 27 aus – Musiker wie Janis Joplin, Jim Morrison, Brian Jones oder Amy Winehouse, die alle im Alter von nur 27 Jahren starben.

Jüngere Verwandte des Malers, die im Internet von der Aktion „Unser Schaufenster für Eure Kunst“ gelesen hatten, hatten den Künstler animiert. „Dass er ebenfalls Rockstars gemalt hat, ist ein schöner Zufall, es müssen aber nicht immer Bilder von Musikern sein“, sagt Hanno Maack. „Wir wollen auch unbekannten Künstlern eine Chance geben.“

Maacks Aktion hat an Dynamik gewonnen. Schon ab Donnerstag sollen im Doris Diner am Grindelhof und in der Gurke am Mittelweg Ohlendorff-Bilder zu sehen sein. Auch aus anderen Städten zeigten Künstler und Gastronomen Interesse. So oder so, die Aktion wird über den 30. November hinaus weiterlaufen.

„Unser Schaufenster für Eure Kunst “, www.combiful.com/unser-schaufenster-fuer-eure-kunst