Hamburg. Sie fackelt nicht lange. Gleich in der ersten Szene des Films brennt eine Verkehrsampel, und eine junge Frau stapft, ausgerüstet mit einer Feuerwehruniform, aber auch mit einem Flammenwerfer, durch die Nacht. Auch später wird Ema (Mariana di Girólamo) immer wieder Flammenstöße spucken lassen. Um sich Luft zu machen. Um sich Respekt zu verschaffen. Vor allem aber, um zu zeigen, wer hier die Dinge in der Hand hat.
Dabei steht die Titelfigur in Pablo Larraíns Film „Ema“ vor einem Scherbenhaufen. Sie hat mit ihrem Mann ein Kind adoptiert, das sich aber als ähnlich unkontrollierbar erwiesen hat wie sie selbst. Auch der kleine Polo hat mit dem Feuer gespielt, hat versucht, das Haus abzufackeln und dabei Emas Schwester schwer verletzt. Daraufhin hat die überforderte Adoptivmutter das Kind einfach „zurückgegeben“, wie ein Kleidungsstück, das doch nicht ganz passt.
Ema tanzt ihre Wut aus dem Bauch
Das führte zum Zerwürfnis mit dem Gatten, zum Protest bei den Kollegen in der Schule, wo sie als Tanzpädagogin angestellt ist, zu Depression und sozialer Ächtung. Ema bereut ihren Fehler. Und will ihr Kind zurück. So stapft die junge Frau mit dem grell weißblonden, streng nach hinten gebürsteten Haar entschlossen zum Jugendamt. Auch wenn die Beamtin ihr dort unmissverständlich zu verstehen gibt, dass sie der Adoption nie hätte zustimmen dürfen, weil ein Gutachter Zweifel angemeldet hatte, ob die junge Mutter nicht ein wenig verrückt sei. Und dass sie sich keinesfalls ein zweites Mal für sie einsetzen wird.
Jetzt tanzt sich Ema ihre Wut aus dem Bauch. In der Tanzcompagnie ihres Mannes Gastón (Gael García Bernal), in seiner Choreografie vor einer flammenden Sonne, die mehrfach die Farbe wechselt. Doch Ema tanzt nicht nach der Pfeife ihres Mannes, sie schert immer wieder aus der Schrittfolge aus. Sie hat einen anderen Puls, den des Reggaeton, der Tanzmusik von der Straße. Dem frönt sie mit ihrer Mädchengang. Und dann sind da noch die Befreiungsschläge mit dem Flammenwerfer. Ema ist eine Frau, die sich nicht darum schert, was andere sagen. Sie macht, was sie will. Sie schläft auch, mit wem sie will, ob Freund oder fremd, ob Männlein oder Weiblein. Und wenn man sie nicht lässt, findet sie schon einen Weg zu ihrem Glück.
Pablo Larraín brachte 2016 „Jackie“ auf die Leinwand
Der chilenische Filmemacher Pablo Larraín wurde eher mit männerbündlerischen Dramen bekannt, die die jüngste chilenische Vergangenheit aufarbeiteten: „Neruda“ (2016) über die Verfolgung des späteren Literaturnobelpreisträgers, „No“ (2012) über die Verteidigung Pinochets (auch hier spielte García Bernal bereits eine Hauptrolle) oder der Berlinale-Film „El Club“ (2015) über ein Asyl von Priestern, die sich alle des Kindermissbrauchs schuldig gemacht haben.
Mit seiner ersten amerikanischen Produktion „Jackie“ (2016) hat Larraín dann ein eindringliches Frauenporträt geschaffen, mit Natalie Portman als Jackie Kennedy, die nach der Ermordung ihres Präsidentengatten zum Paria, zum Störfaktor im Protokoll und im Weißen Haus wird. „Ema“, der im vergangenen Jahr auf den Filmfestspielen in Venedig seine Premiere feierte, ist nun wieder in der Heimat angesiedelt, in der Küstenstadt Valparaiso, und mit dem treibenden Rhythmus der Straße unterlegt.
Dabei erzählt Larraín nicht nur von dem Scherbenhaufen eines Lebens, sein Film ist selbst wie ein Scherbenhaufen angelegt. Anfangs springt die Handlung wie toll vor und zurück, sodass der Zuschauer erst mal ziemlich orientierungslos ist. Als habe man die Geschichte wie eine Glasscheibe zersplittert, werden die einzelnen Scherben lustvoll unchronologisch aneinandermontiert. Der Zuschauer ist schon selber gefordert, das Puzzle richtig zusammenzusetzen.
"Ema" ist im Abaton zu sehen
Und auch wenn er es am Ende zu einem Gesamtbild geordnet hat, werden die Bruchstellen immer noch zu sehen sein. Der große Kitt dabei ist die Musik. Sind oszillierende, treibende Synthesizerbässe, die eine ganz eigene, entrückte Atmosphäre schaffen. Und vibrierende, energiegeladene Tanzeinlagen, die einen starken, rauschhaften Sog entwickeln und das Drama fast zum Musical machen.
Das Zentrum aber, die glühende Sonne des Films, ist die kraftvoll spielende Hauptdarstellerin di Girólamo, die vor der Bühnen-Sonne tanzt. Und eine Präsenz hat, die umhaut. Man muss sie nicht mögen, manches kann man ihr auch nicht verzeihen. Aber wie sie sich aus ihrer Schockstarre und Verzweiflung befreit, wie sie unbeirrt ihren Weg geht, sich dabei nichts sagen lässt und alles einsetzt, was ihr zur Verfügung steht, das ist umwerfend.
Ein Film wie ein Flammenstoß, der von Schuld und Fehlern handelt, aber auch von Selbstbestimmung und unbändiger Lebenslust. Lodernde Avantgarde vom Feinsten, vielleicht auch vom Verrücktesten. Das könnte ein Kultfilm werden. Und wartet am Ende noch mit manch überraschender Wendung auf.
„Ema - Sie spielt mit dem Feuer“ 102 Minuten, ab 16 Jahre, läuft im Abaton, Koralle, Passage, Studio
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