Hamburg

„Grind Me“ im Lichthof: Softporno ohne Narben

| Lesedauer: 2 Minuten
Falk Schreiber
Das Hamburger Lichthoftheater.

Das Hamburger Lichthoftheater.

Die Bühne ist hier das Internet und bezieht sich auf die Dating-App Grindr, eine stark sexbezogene Anwendung.

Hamburg. Die Kamera gleitet übers Grau. Erst nach und nach tauchen Konturen auf, ein Haar, Poren, ein Muttermal, schließlich Schamhaare, ein Kinn. Larissa Potapovs Videobilder für das Tanzsolo „Grind Me“ zeigen keine Landschaft, wie man zunächst hätte denken können, sie zeigen einen Körper. Eine Körperlandschaft.

Das Publikum im Lichthof Theater sitzt im Kreis um eine kleine Bühne. Und inmitten dieses Kreises liegt Marcelo Doño, räkelt sich, streckt sich, deutet kleine, langsame Tanzbewegungen an. Seine Arme liegen verschränkt unter dem Kopf, sein linkes Bein ist angewinkelt: Das ist eine laszive Pose, vielleicht auch ein Klischee. Zumal sich Doño solche Posen leisten kann. Der spanisch-argentinische Tänzer ist zweifellos ein schöner Mann, glatte Haut, kleine, feste Pobacken, trainiert, aber nicht muskelbepackt. Im Einstieg wirkt „Grind Me“ wie aus dem Katalog für softpornografische Kalenderblätter nachchoreografiert. Und führt einen damit gekonnt auf eine falsche Fährte.

Sexbezogene Dating App

Denn die Bühne, auf die Doño eigentlich anspielt, ist nicht der Lichthof, sondern das Internet. Der Titel „Grind Me“ bezieht sich auf die Dating-App Grindr, eine stark sexbezogene Anwendung, die primär in der Schwulenszene verwendet wird. „Man kann sich Stunden in dieser App bewegen“, beschreibt der Tänzer die Funktionsweise, „und hinterher ist man einsamer und frustrierter als zuvor.“

Die Softporno-Ästhetik der ersten Bilder entspricht den Selbstinszenierungen im Grindr-Profil, und entsprechend tanzt Doño daraufhin erst mal die Handy-Kamera an: Es sind Klischee-Bilder, die hier aufgebaut werden, aber diese Bilder stehen im direkten Zusammenhang mit der normierten Bildsprache der Dating-App.

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Fähigkeit zur Selbstironie

Entsprechend ist dann auch die ungebrochene Schönheit des Tänzers keine bloße Übernahme klischeehafter Körperästhetik, sondern eine Kritik an dieser Ästhetik.„Grind Me“ läuft so kurz Gefahr, zum tendenziell konservativen Kulturpessimismus zu werden. Dem allerdings steht Doños Fähigkeit zur Selbstironie entgegen. Mag ja sein, dass das Verlangen nach schönen Körpern beim Online-Dating ein Problem ist, aber auch der Theaterzuschauer will vor allem Schönheit sehen, glatte Haut statt Narben, Muskeln statt Fett.

Der Abend schließt so die Theatersituation mit dem Dating kurz, die Posen, die der Tänzer in die Kamera performt, sind dieselben Posen, die das Publikum mit kaltem Blick bewertet. „Wie gefalle ich euch bis jetzt?“, fragt Doño verführerisch, und es ist nicht klar, ob diese Frage an einen möglichen Sexualpartner gerichtet ist oder an den Zuschauer. Und dann sieht er wieder atemberaubend gut aus.