Hamburg. Das muss einfach ein Hit werden. Ein sympathisches, kleines Privattheater hat sich die Rechte an der preisgekrönten Fernsehserie „Der Tatortreiniger“ gesichert, erfolgreich bei Kritik wie Publikum, mit klarem Hamburg-Bezug!
Andererseits: eine Fernsehserie, bei der so ziemlich alles richtig gemacht wurde, was man im Fernsehen richtig machen kann, tolles Drehbuch (Mizzy Meyer, bürgerlich Ingrid Lausund), inspirierte Regie, großartige Schauspieler! Außerdem Fans, die das Ergebnis nahezu kultisch verehren, und mit Bjarne Mädel ein Hauptdarsteller, der perfekt ist für seine Rolle!
Das kann doch nur schiefgehen, wenn das Kleine Hoftheater in Horn versucht, „Der Tatortreiniger“ als Hamburger Erstaufführung auf die Bühne zu bringen, jene epochale NDR-Serie, die zwischen abgetrennten Gliedmaßen und verschüttetem Wundwasser die ganz großen Fragen anspricht: Warum hat meine Freundin mit mir Schluss gemacht? Wo kommen wir her, wo gehen wir hin? Und steigt der HSV irgendwann mal wieder auf?
Was macht den "Tatortreiniger" aus? Norddeutsche Lakonie
Regisseur Stefan Leonard macht das einzig Richtige in dieser Situation: Er versucht gar nicht erst, schon einmal meistergültig gerissene Witze nachzuerzählen. Stattdessen überlegt er, was den „Tatortreiniger“ ausmacht: norddeutsche Lakonie. Die Bereitschaft, dorthin zu gehen, wo es richtig wehtut. Und der Mut, die Figuren nicht zu Clowns werden zu lassen, auch wenn es sich anbietet.
Die alte Hanseatin, die den Einbrecher mit einem Golfschläger niederstreckt und dann einen Tee kocht – das muss man erstmal spielen können, ohne hier eine Schießbudenfigur auszustellen. Barbara Stieg kann es. Ganz wichtig beim „Tatortreiniger“, so kennen wir es aus dem Fernsehen: erstklassige Schauspieler, auch in Nebenrollen. Hat Regisseur Leonard verstanden.
Nicht zuletzt weil die Schauspieler so gut sind, funktioniert der Abend. Frank Piotraschke als Tatortreiniger Schotty hat auf den ersten Blick nichts von seinem Fernsehvorbild Bjarne Mädel: Piotraschke ist hager, groß, sehnig, Mädel pummelig und gemütlich. Aber Piotraschke trifft den Ton der Vorlage, die Mischung aus Ironie und Haltung, aus Souveränität und „Ich weiß doch auch nicht“ ist sehr, sehr fein erarbeitet.
Regie entschied sich für drei „Tatortreiniger“-Episoden
Und auch Philipp Wegner schultert die männlichen Nebenrollen ohne Probleme: den Unternehmensberater Grimmehein spielt er mit öliger Gefährlichkeit, den intellektuell etwas langsamen Jost mit enervierender Buchstabengenauigkeit. Außerdem hat sich die Regie für drei „Tatortreiniger“-Episoden entschieden, die die Qualitäten des Konzepts optimal zur Geltung bringen: Zum Einstieg die mehr oder weniger harmlose Krimigroteske „Nicht über mein Sofa“, dann die böse Kapitalismusfarce „Sind Sie sicher?“, und nach der Pause folgt mit „Pfirsichmelba“ die vielleicht abgründigste Folge der Serie.
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Bezüglich des darstellerischen und inszenatorischen Niveaus steigert sich der Abend immer mehr, und wie geschickt Regisseur Leonard diese Steigerung aufbaut, ist durchaus anerkennenswert. Schade allerdings, dass er in tatsächlich jede Szene eine unmotivierte Gesangspassage integriert. „Der Tatortreiniger“ ist eine Komödie mit ernstem Hintergrund, kein Musical, und weil die Darsteller aus Corona-Gründen nicht live singen dürfen, sondern sich aufs Vollplayback verlassen müssen, wird noch einmal klarer, dass hier etwas aus der Spur läuft.
Eine kleine künstlerische Ungenauigkeit gibt es
Diese Reminiszenz an Konventionen des Unterhaltungstheaters ist eine kleine künstlerische Ungenauigkeit, die dem Gesamtabend aber so wenig schadet wie die Tatsache, dass Leonard dem Ende von „Pfirsichmelba“ noch eine kurze Szene aus einer ganz anderen Folge (aus „Schweine“) angehängt hat.
Stefan Leonards Regie mag hier mal kurz ins Stolpern geraten, auf die Nase fällt der Abend allerdings nicht. Ansonsten erfüllt dieser Theater-„Tatortreiniger“ die Erwartung: Er ist und bleibt ein Hit.
„Der Tatortreiniger“ wieder bis 20. September, Freitags und Sonnabends, 19.30 Uhr, Sonntags, 16 Uhr, Das Kleine Hoftheater, Bei der Martinskirche 2, Tickets unter 691572, www.hoftheater.de
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