Hamburg. Barbara Sukowa ist eine Grande Dame unter den deutschen Schauspielerinnen. Zunächst machte sie auf der Bühne Furore, in den 1970er-Jahren spielte sie auch am Schauspielhaus in Hamburg. Dann entdeckte der deutsche Film die Darstellerin, die amerikanische Filmwissenschaftler James Monaco in seinem Filmlexikon als „frappierend und vielseitig“ bezeichnet hat. Sie spielte wichtige Frauen der deutschen Geschichte: Hannah Arendt, Rosa Luxemburg, Hildegard von Bingen, Gudrun Ensslin. Vor zwei Jahren kam Barbara Sukowa zurück in die Hansestadt, um den Kinderfilm „Rocca verändert die Welt“ zu drehen. Ab Donnerstag ist sie im Kinofilm „Wir beide“ als Liebende zu sehen. Ein Anruf bei der 70 Jahre alten Künstlerin in Brooklyn.
Hamburger Abendblatt: Wie geht es Ihnen, Frau Sukowa?
Barbara Sukowa: Gut, ich bin bisher durch die Corona-Krise gekommen, ohne zu erkranken.
Sie leben schon lange in New York. Wie nehmen Sie die aktuelle politische Situation in den USA wahr?
Sukowa: Die USA sind riesig. Die Proteste ereignen sich in erster Linie in den Großstädten, die überwiegend demokratisch ausgerichtet sind, nicht republikanisch. Die Situation fühlt sich unreif an. Die Menschen sind durch die Medien aufgeputscht und verstehen einander überhaupt nicht mehr. Die politischen Fronten sind total verhärtet. Wir erleben systemimmanenten Rassismus und bräuchten dringend eine Justizreform. Die Polizeibrutalität, um die es in vielen der Proteste geht, ist nur ein Symptom.
Sie gehören zur 68er-Generation. Was haben Sie in Ihrer Jugend erlebt?
Sukowa: Wir haben damals auch protestiert, da flogen Steine, und es kamen Wasserwerfer. Junge Leute haben einfach das Bedürfnis, sich mit etwas zu identifizieren, was größer ist als sie selbst. Viele von ihnen sind Idealisten. Es gibt hier aber nur wenige Angebote, für die sie sich engagieren können. Stattdessen treffen sie sich in Einkaufszentren, um ihre sozialen Kontakte zu pflegen. Ich finde dieses Verhalten traurig. Da entlädt sich gerade sehr viel. Ich hoffe, dass sich ihre Unzufriedenheit auch in Wahlergebnissen ausdrückt. Viele junge Leute wählen nicht und verlieren für mich dadurch auch ein bisschen das Recht, sich zu äußern. Durch die starke Präsenz der sozialen Medien befinden sie sich im ständigen Vergleich mit anderen. Sie sind auf der Suche nach ihrer Identität, wollen sich abgrenzen und ihre eigene Bezugsgruppe finden.
Sie verkörpern in diesem Film eine lesbische Frau. Was hat Sie an dieser für Sie ungewöhnlichen Rolle gereizt?
Sukowa: Das Drehbuch war sehr gut. Beide weiblichen Rollen waren sehr komplexe Figuren. Beide Frauen sind schon älter, es geht aber trotzdem um ihre Liebe und Sexualität. Ich fand es spannend, dass sich ein junger Regisseur um diese Themen kümmerte. Reizvoll fand ich aber auch den Konflikt mit der nächstjüngeren Generation. Da ist viel dran.
Sie spielen hier mal wieder eine Kämpferin wie auch schon in „Rosa Luxemburg“, „Hannah Arendt“ und „Die bleierne Zeit“. Liegt das in Ihrem Naturell?
Sukowa: Das bekomme ich halt immer wieder angeboten. Wenn man es ein paarmal so macht, dass es den Leuten gefällt, kriegt man immer wieder diese Rollen.
Merkte man es Regisseur Filippo Meneghetti an, dass dieser Film sein Debüt war?
Sukowa: Überhaupt nicht. Er hat es toll gemacht. Film ist ein Regisseursmedium. Als Schauspieler ist man nur ein kleiner Teil. Man weiß hinterher nie, was aus dem, was man da gespielt hat, gemacht wird.
Der Film hat seine Premiere in Toronto erlebt. Waren Sie mit dabei?
Sukowa: Ich war in Toronto und im chinesischen Macau. Wir haben sehr gute Reaktionen bekommen, erstaunlicherweise auch gerade von jungen Leuten, viel natürlich aus dem LGBT-Kreis. Mich hat bei unserem Regisseur gewundert, dass er einen Film über alte lesbische Damen machte. Vielleicht gibt es bei jungen Leuten das Bedürfnis, zuzuhören, was ihnen Ältere zu sagen haben. Es ist nicht mehr so wie bei uns früher: Trau keinem über 30! Wir waren furchtbar mit älteren Leuten.
In ihren Debütfilm legen Regisseure meist viel Herzblut hinein. Wissen Sie, warum Menegehtti sich dieses Thema gewählt hat?
Sukowa: Er kannte eine Frau, die eine ähnliche Geschichte hatte. Normalerweise werden Erstlingsfilme tatsächlich aus einem autobiografischen Interesse gemacht.
Der Film ist eine Art architektonisches Kammerspiel. Wichtig ist aber auch die Funktion der Musik für die Erinnerung. Geben Sie selbst eigentlich noch Konzerte?
Sukowa: Vor zwei Jahren habe ich in London eins mit den Gurre-Liedern von Arnold Schönberg gegeben. Mit der Band habe ich in letzter Zeit nichts gemacht.
Im Mai wäre Rainer Werner Fassbinder 75 Jahre alt geworden. Sie waren 1981 seine „Lola“. Haben Sie mal an ihn gedacht?
Sukowa: Aber nicht an diesem Tag. Ich denke nie an Geburtstage mit Ausnahme der meiner Kinder. Aber ich denke öfter mal an ihn und blicke gern auf die Zeit zurück. Zuletzt war hier aber viel zu viel anderes los.
Film „Wir beide“
- Sie sind Nachbarinnen, aber auch viel mehr als das. Madeleine (Martine Chevalier) und Nina (Barbara Sukowa) leben Tür an Tür in einer südfranzösischen Kleinstadt. Tatsächlich sind sie seit Langem ein Paar, aber das verbergen sie vor der Öffentlichkeit. Besonders schwierig wird es immer, wenn Madeleines erwachsene Kinder zu Besuch kommen. Dann muss Nina die gemeinsame Wohnung verlassen und in ihr eigenes unmöbliertes Appartement flüchten. Erst wenn die Luft wieder rein ist, kann sie zurück. Doch dann erleidet Madeleine einen Schlaganfall, und Nina bleibt ausgesperrt. Aber sie kämpft um das Leben und die Liebe ihrer Freundin. Nur Madeleines Tochter will nichts von der geheimen Leidenschaft ihrer Mutter wissen.
„Wir beide“ läuft von Donnerstag an im Abaton, Blankeneser, Holi, Koralle, Zeise.
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