London. Es beginnt mit einem gesprochenen Gedicht – was schon mal ein guter, feierlicher Anfang ist für einen Konzertfilm über einen Songpoeten. „Once there was a song...“, deklamiert Nick Cave mit seinem klangvollen Bariton, danach geht es um Elvis Presley, Las Vegas, die Flügel einer Taube und dunkle Liebesbotschaften.
Der vor knapp 63 Jahren in Australien geborene, seit Langem in England lebende Sänger durchschreitet die leeren Räume des Londoner Alexandra Palace und setzt sich ans Klavier, um als Solist ganz ohne Publikum seine Lieder für Corona-Zeiten zu singen. Der Auftritt aus dem Juni wird an diesem Donnerstag (21 Uhr) als „globales Streaming-Event“ präsentiert. Tickets zu 18 Euro gibt es unter nickcave.com
„Idiot Prayer – Nick Cave Alone at Alexandra Palace“ dürfte all jene bestärken, die den Singer-Songwriter für eine der faszinierendsten Musikerpersönlichkeiten unserer Zeit halten.
Karten für das 80-minütige Konzert kosten 18 Euro
Das anfangs rezitierte Gedicht „Idiot Prayer“ stammt von der puristischen Pianoballaden-Platte „The Boatman's Call“ (1997), Cave singt den rätselhaften Text dann mit mächtiger Stimme gleich noch zum Auftakt seines gut 80-minütigen Konzertprogramms. Die Lieder sind der gedrückten, wie so oft bei diesem Künstler auch düsteren Stimmung angemessen – traurige Musik für eine katastrophale Pandemie eben.
„Sad Waters“ etwa – erstmals war das Stück 1986 auf „Your Funeral ... My Trial“ zu hören, einem frühen Werk von Nick Cave & The Bad Seeds. Diese kongeniale, bis heute existierende Rockgruppe hat der Sänger, den Kontaktbeschränkungen und Corona-Abstandsregeln entsprechend, für seinen neuen Konzertfilm außen vor gelassen. Auch Caves ruppige Zweitband Grinderman taucht im Alexandra Palace nur mittels Songauswahl auf („Palaces Of Montezuma“, „Man In The Moon“).
Besonders berührend gelingen im Londoner Solokonzert „Girl In Amber“ und „Waiting For You“, zwei Lieder aus aktuelleren Alben, die der Musiker seinem bei einem Unfall getöteten Sohn Arthur widmete. Diese mit enormer Konzentration gesungenen und gespielten Stücke enthalten – wie auch die monumentalen Epen „The Mercy Seat“ und „Galleon Ship“ – typische Facetten des Songdichters Cave: Trauer, Angst, Melancholie, Pessimismus, aber auch Romantik und christliches Hoffen auf Erlösung durchziehen das Gesamtwerk.
Intensive Klaviermelodien
Der Film „Idiot Prayer“ geht auf Caves Soloauftritte aus dem vorigen Jahr zurück. „Ich mochte es, bei diesen Shows dekonstruierte Versionen meiner Lieder zu spielen (...)“, sagt er. „Ich spürte, dass ich die Songs wiederentdeckte, und begann darüber nachzudenken, im Studio diese neu erschlossenen Versionen bei Gelegenheit noch mal aufzunehmen. Doch dann ging die Welt bekanntlich in den Lockdown. Die Welttournee mit den Bad Seeds wurde verschoben, Studios und Veranstaltungsorte machten zu. Und die Welt fiel in eine unheimliche, selbstreflexive Stille.“
Zu dieser Stille passen die in einer nur sehr sparsam ausgeleuchteten Konzerthalle aufgenommenen, andächtigen Cave-Songs aus mehreren Karriere-Jahrzehnten perfekt. Der 62-Jährige mit der pechschwarzen Prinz-Eisenherz-Frisur wirft sich hinein in seine intensiven Klaviermelodien, einmal lacht er kurz über einen Anflug von überzogenem Pathos. Am Ende verlässt Nick Cave den Saal durch eine offene Tür – dem gleißenden Licht entgegen. Mit Stimmungen und Symbolbildern wusste er schon immer zu spielen.
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