Barcelona. Kaum einer beschrieb das hässliche Barcelona der Zeit nach dem spanischen Bürgerkrieg so gut und eingehend wie er. Juan Marsé galt als Autor “des kleinen Mannes“. Nun ist der langjährige Literaturnobelpreis-Kandidat gestorben. Ganz Spanien trauert.

Für Pomp und Pathos, für Prominenz und Prunk hatte Juan Marsé nie etwas übrig. Weder in seinem Privatleben noch in seinen Werken.

Der spanische Schriftsteller, der als Autor des "kleinen Mannes", der Arbeiter, der Verlierer und Außenseiter galt, ist tot. Er starb am späten Samstagabend im Alter von 87 Jahren in seiner Heimatstadt Barcelona, dem Hauptschauplatz seiner Romane.

Marsé galt als einer der größten spanischen Erzähler der Gegenwart und wurde seit vielen Jahren immer wieder als Außenseiter-Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt. Den erhielt er nie. Neben vielen anderen Auszeichnungen bekam er aber im Jahr 2008 auch den Cervantes-Preis, die wichtigste literarische Auszeichnung in der spanischsprachigen Welt.

Als er damals, vor zwölf Jahren, gefragt wurde, wie er sich auf die Übergabe des Cervantes-Preises durch den damaligen König Juan Carlos vorbereiten würde, antwortete er: "Ich werde ehrlich gesagt sicher viel Zeit dem Binden der Krawatte verbringen. Das gelingt mir nie". Nach der Zeremonie beschwerte er sich, dass er einen Frack habe tragen müssen. "Ich sah aus wie ein Pinguin."

Marsé war in erster Linie ein "Held" seiner Region Katalonien - aber sein Tod versetzte ganz Spanien in tiefe Trauer. Im Fernsehen gab es lange Würdigungen, Sondersendungen wurden angekündigt. Ministerpräsident Pedro Sánchez würdigte - inmitten des wichtigen EU-Gipfels über den Wiederaufbau Europas - den Autor von "Letzte Tage mit Teresa" und "Wenn man Dir sagt, ich sei gefallen..." und sprach der Familie sein Beileid aus.

"Ich erhalte in Brüssel die traurige Nachricht, dass Juan Marsé von uns gegangen ist. Er war eine Schlüsselfigur der spanischen Literatur", schrieb Sánchez auf Twitter. Der sozialistische Politiker beschrieb den Romancier der sogenannten "Generation von 1950" als "Mann fester Überzeugungen", "der uns mit seinen Werken in die soziale Realität des Barcelona der Nachkriegszeit transportiert hat".

Marsé hat in der Tat wie kaum ein Zweiter das Barcelona vor dem Touristenboom, die hässliche und graue Industriemetropole der Zeit nach dem spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) und vor den wegweisenden Olympischen Spielen von 1992 beschrieben. In seinen Romanen finden die Leser nicht die Flaniermeilen, die feinen Cafés und Restaurants, die Museen, Theater und Souvenirläden, und auch nicht die Touristenströme, die heute die Metropole prägen.

Marsé beschrieb die triste, schmutzige, hässliche und von den Luftbombardements von 1938 zum Teil zerstörte Stadt. Seine Helden waren gesellschaftliche Verlierer und Außenseiter: kleine Ganoven, Prostituierte, Herumtreiber oder auch dekadente Bourgeois.

Zahlreiche seiner Bücher wurden verfilmt oder für das Theater adaptiert, sein Werk wurde in unzählige Sprachen übersetzt. In Deutschland erschienen neben "Wenn man Dir sagt, ich sei gefallen ..." (1986) und "Letzte Tage mit Teresa" (1988), mit dem er daheim 1965 den Durchbruch schaffte, unter anderem auch "Die obskure Liebe der Montserrat Claramunt" (1991), "Der zweisprachige Liebhaber" (1993) oder "Liebesweisen in Lolitas Club" (2007).

Nicht nur seine Werke, auch das Leben des Juan Marsé hatte es in sich: Seine Mutter starb bei der Entbindung am 8. Januar 1933. Der Vater, ein Taxifahrer, gab das Kind - das Juan Faneca hieß - zur Adoption durch ein Bauern-Ehepaar namens Marsé frei, das er auf einer Droschkenfahrt kennengelernt hatte. Der kleine Juan war kein guter Schüler und verließ die Schule früh. Um den Adoptiveltern zu helfen, arbeitete er schon mit 13 in einem Juweliergeschäft.

Der Autodidakt schrieb seinen ersten Roman während seines Militärdiensts. Anfang der 1960er Jahre zog der Gegner des Regimes von Diktator Francisco Franco für vier Jahre nach Paris, wo er mit spanischen Kommunisten zusammenkam. Während der Diktatur wurden seine Werke zensiert, so dass Marsé sie zeitweise in Mexiko veröffentlichen musste. Die Politik habe ihm aber nie interessiert. "Ich bin nur ein Erzähler", betonte der Romancier immer wieder.

© dpa-infocom, dpa:200719-99-846145/4