Theaterkritik

Lichthof-Theater zeigt Premiere – per Video-Chat

| Lesedauer: 4 Minuten
Falk Schreiber
Das Lichthof Theater ist derzeit geschlossen.

Das Lichthof Theater ist derzeit geschlossen.

Foto: Lichthof Theater

Das Duo Die Azubis präsentiert Stück „Enter_Hamlet“ nicht im Lichthof, sondern in der Video-Chat-App Zoom.

Hamburg.  „Wir befinden uns hier im virtuellen Raum“, sagt Kai Fischer. „Und dieser Raum ist ein ungewohnter Ort für Theater.“ Was so nicht stimmt: Eigentlich ist der virtuelle Raum der einzige Ort, an dem in diesen Tagen Theater stattfindet. Angesichts der Corona-Pandemie überbieten sich die Bühnen dabei, ihre Kunst per Video oder Konferenzschaltung in die Wohnzimmer zu streamen.

"Enter_Hamlet" explizit als digitales Theater produziert

Einerseits. Andererseits ist es tatsächlich Neuland, dass das Duo Die Azubis nicht notgedrungen ins Netz ausweicht, sondern ein Stück explizit für die Konferenz-App Zoom produziert: „Enter_Hamlet“, Shakespeare im Wohn- und Badezimmer.

Das kennt man von Kai Fischer und Christopher Weiß, die seit Jahren unter dem Namen Die Azubis freies Theater machen, in Zusammenarbeit mit dem inklusiven Klabauter Theater die Produktion „Die Zeitraffer“, den performativen Reeperbahn-Rundgang „Dr. Faustus sucht das Glück“, das Klassenzimmerstück „Das Böse“.

Hauseigene Forschungsschiene Lichthof_Lab

„Enter_Hamlet“ ist in Zusammenarbeit mit dem Lichthof Theater entstanden, und hier kennt man die Chancen und die Tücken der Online-Performance schon, nicht zuletzt durch die Erfahrungen der hauseigenen Forschungsschiene Lichthof_Lab.

Entsprechend ist klar, dass der Einstieg in „Enter_Hamlet“ erst einmal ein langwieriges Heranführen des Publikums an die Eigenarten von Zoom sein muss: Bei der einen Zuschauerin funktioniert die Verbindung nur leidlich, beim anderen ist der Ton ausgefallen, und dann ist da noch jemand in der Leitung, bei dem unklar ist, ob der wirklich dazugehört.

Technische Probleme lösen Distanz auf

„Irgendwelche Probleme gibt’s immer“, konstatiert Weiß. Was den hübschen Nebeneffekt hat, dass die Distanz zwischen Publikum und Performern aufgelöst wird: Irgendwie hängen wir alle in der holprigen Bandbreite fest.

Als das Stück dann endlich losgeht, entpuppt es sich als klassisches Azubis-Handwerk: Basis ist wie schon mehrfach ein kanonisierter Dramentext, in diesem Falle Shakespeares „Hamlet“. Der wird auf einen bestimmten Aspekt eingedampft, hier auf die Geschichte des Dänenprinzen als dysfunktionale Familienerzählung.

Szenen als Legotheater oder Trickfilm

Und dieser Aspekt wird dann mit großer szenischer Phantasie in den Alltag übertragen. Ganze Szenen sind als liebevolles Legotheater ausgeführt (wobei Weiß und Fischer hier eine Nähe zum Puppenspiel zeigen, die man so von dem Duo noch nicht kannte), eine Rückblende in Claudius’ Jugend funktioniert als melancholisch-schöner Trickfilm, und zwischendurch gibt es immer wieder halbwegs traditionelles Schauspiel mit Freude an der improvisierten Ausstattung.

Die freilich ihre Corona-Bedingungen nie verhehlt: Natürlich ist es hübsch, wenn Weiß als Königin Gertrude einen Monolog vor einem Samtvorhang hält. Noch hübscher ist es aber, wenn dieser Vorhang plötzlich fällt und den Blick auf das Wohnzimmer des Schauspielers freigibt.

„Enter_Hamlet“ ist über weite Strecken nicht lustig

Solch gelungene Gags gibt es viele. Aber sie führen auf die falsche Fährte: „Enter_Hamlet“ ist über weite Strecken nicht lustig. Zumal die Azubis-Deutung neben der Königsfamilie eine weitere, nicht weniger verkorkste Familie in den Blick nimmt: die des Polonius.

Dass dessen Tochter Ophelia (Gastperformerin Lisa Apel) Hamlet an einer Stelle anfleht, mit ihr wegzugehen, ist nicht nur die Fluchtromantik eines verliebten Teenagers, es ist auch die Rettungsstrategie einer Tochter, die spürt, dass ihr Vater ihr zu nahe kommt.

Zuschauer werden zu häuslicher Gewalt befragt

Die Distanz ist längst nicht nur zwischen Publikum und Stück pulverisiert, sondern auch zwischen den Figuren untereinander, und dass Fischer in einer launigen Mitmachpassage zur Stückmitte die Zuschauer auf ihre Erfahrungen mit häuslicher Gewalt anspricht, passt da ebenso dazu.

„Enter_Hamlet“ entpuppt sich so als bislang vielschichtigstes Stück im Azubis-Repertoire. Dass das Duo wie nebenbei auch noch die Gratis-Mentalität des Theaterstreamings in Pandemie-Zeiten unterläuft, ist da nur folgerichtig: Einen Link zur Zoom-Konferenz erhält man erst, nachdem man ganz klassisch eines der pro Aufführung 20 Tickets über die Lichthof-Website gelöst hat.

Das ist kein Spaß, das ist bitterer Ernst, also: Theater. Ganz egal, ob Online-Neuland oder nicht.

„Enter_Hamlet“ wieder vom 3. bis 5. Juni, 21 Uhr, online über die App Zoom, Tickets über www.lichthof-theater.de