London. Ein Highlight im Beethoven-Jahr: Zum 250. Geburtstag des Komponisten bietet das Royal Opera House in London eine Neuproduktion von “Fidelio“ mit Jonas Kaufmann. Regie führt ein junger Deutscher.

Alle sechs Vorstellungen von "Fidelio" in London waren schon längst vor der Premiere am 1. März ausverkauft. Auf dem internationalen Schwarzmarkt sollen Karten um die 3000 Pfund-Marke (3500 Euro) für die Aufführung von Beethovens einziger Oper kursieren.

Der Grund dafür ist eine Besetzung der Superlative: Unter der musikalischen Leitung von Chefdirigent Antonio Pappano singt der Startenor Jonas Kaufmann die Rolle des Florestan, die norwegische Sopranistin Lise Davidsen ist Leonore, und der angesagte deutsche Opernregisseur Tobias Kratzer hält in seinem Royal Opera-Debüt die Zügel in der Hand.

Der Londoner "Fidelio" gilt als einer der Höhepunkte der weltweiten Feiern zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven (1770-1827). Die letzte Aufführung am 17. März wird weltweit in Kinos übertragen.

Nach seiner spektakulären "Tannhäuser"-Inszenierung in Bayreuth 2019 und einer Reihe weiterer internationaler Erfolge will Kratzer bei seiner Neuinterpretation von Beethovens einziger Oper "gar nicht so provokant" vorgehen. Dazu eigne sich das Stück nicht, in dem es Züge eines "philosophischen Essays" gebe, sagte er in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in London.

"Fidelio ist schon ein Wendepunkt in der Operngeschichte, weil es wirklich die erste Oper ist, in der ein Komponist das Genre, das gesamte Medium nimmt, um seine persönliche politische Botschaft auszudrücken. Und das ist doch eine positive, utopische, emphatische Message." Beethoven habe die revolutionären Ereignisse zum Ende des 18. Jahrhunderts und ihre Folgen "sehr massiv als Komponist, aber auch als gesellschaftlicher Mensch" wahrgenommen und reflektiert.

Kratzer verlegt die Oper in zwei Akten, die aus Gründen der Zensur traditionell in Spanien (Sevilla) spielt, zurück in das Terrorregime der Französischen Revolution und zieht Parallelen zu den politischen Krisen der heutigen Zeit. Während der erste Akt mehr oder weniger "die konkrete historische Situation" widerspiegele, gebe es im zweiten Teil einen "ästhetischen Bruch", sagte er.

"Der zweite Akt macht eher überzeitlich die Probe aufs Exempel. Da untersuchen wir die Frage, wo diese Ideale herkommen - und welche Bedeutung sie auch heutzutage noch für jemanden haben können." Hier steht Leonore, die sich als Mann (Fidelio) verkleidet, um ihren geliebten Ehemann Florestan aus der politischen Gefangenschaft des Tyrannen Don Pizarro zu retten, im Mittelpunkt.

"Es geht um das Prinzip Leonore. Es geht mir um das Grundmuster, wie funktioniert eine Gesellschaft, wie kriegt man eine Gesellschaft zum Handeln. Also es ist ja immer einer, der startet, das kann 'Fridays For Future' sein oder der Arabische Frühling. Das braucht sozusagen einen Funken, und daraus kann eine Bewegung entstehen, die plötzlich größer wird als die Figur, die es gestartet hat."

Es liege ihm fern, Leonore mit der Klimaaktivistin Greta Thunberg gleichzusetzen, aber: "Das Grundprinzip, einer startet, die Bewegung wird aufgenommen, löst etwas aus und wird plötzlich größer als die Figur, die es gestartet hat - das ist etwas, was sehr klar bei Beethoven eigentlich systemisch fast schon komponiert ist." Allerdings, so fügt Kratzer hinzu: "Ich weiß gar nicht, ob es mir gelingt, eine glaubwürdige Form zu finden, in der diese Art von positiver Entwicklung geschildert werden kann."

Kratzer verriet, dass in seiner Aufführung ein Pferd auf die Bühne kommt und ein Video eingespielt wird, mit dem "der Jubelchor am Ende eine Vorgeschichte bekommt." Weiter gehe es ihm darum, eher "vergessenen Figuren" wie Marzelline und Jaquino zu stärken.

Auch an den Dialogen hat Kratzer gearbeitet. Er habe etwas Büchner und Grillparzer eingefügt, um die Qualität der Sprechtexte dem hohen Niveau der Musik anzugleichen. Beethoven habe sich immer ein Libretto von Grillparzer gewünscht. "Das ist mein persönliches Geburtstaggeschenk an ihn", lacht Kratzer.