Preisverleihung

Oscars: Südkoreaner erobert mit „Parasite“ Hollywood

| Lesedauer: 6 Minuten
Peter Zander
Fassungsloser Jubel: Regisseur Bong Joon-ho nimmt den Oscar für den „Besten Film“ entgegen.

Fassungsloser Jubel: Regisseur Bong Joon-ho nimmt den Oscar für den „Besten Film“ entgegen.

Foto: Chris Pizzello / dpa

Die Gesellschaftssatire von Bong Joon-ho gewann vier Oscars. Regisseur Martin Scorsese ging mit „The Irishman“ leer aus.

Los Angeles.  Wenn man von Hollywood schon nichts mehr erwartet, überrascht einen die Traumfabrik dann doch wieder mit kühnen, epochalen Entscheidungen. Die Verleihungen der vergangenen Jahre waren eher überlang und ereignisarm verlaufen, sodass der Fernsehzuschauer, der sie live verfolgte, gegen das Wegnicken ankämpfen musste. Bei der 92. Oscar-Verleihung in der Nacht zu Montag aber wurde Geschichte geschrieben. Erstmals hat ein nicht englischsprachiger Film den Hauptpreis gewonnen. Es gab überhaupt erst zehn solcher Filme, die in dieser Kategorie nominiert worden sind. Aber nie haben sie letztlich reüssiert, weder Jean Renoirs „Große Illusion“, 1937 der erste in dieser Runde, noch Alfonso Cuárons „Roma“ aus dem Vorjahr.

Das ist nun der schwarzen Gesellschaftssatire „Parasite“ des Südkoreaners Bong Joon-ho nun gelungen. Gleich vier Trophäen heimste sie ein und war der Sieger des Abends. Früher wäre eine solche Produktion maximal in der Kategorie Fremdsprachiger Film aufgeführt worden. Die wurde in diesem Jahr gerade umbenannt in „Internationaler Film“. Weil man bei den Oscars in Zeiten der Diversität, aber auch des Erstarkens von Fremdenhass das Wort „fremd“ vermeiden möchte. Bong erklärte, er sei stolz, als Erster den Preis unter dem neuen Namen entgegennehmen zu können.

Zuvor war der Regisseur bereits für sein Drehbuch geehrt worden. Nach dem International-Oscar dachte er schon, das sei es für ihn gewesen, er könne jetzt entspannen.

Südkoreaner Bong Joon-ho erobert Hollywood

Da durfte er überraschend noch einmal auf die Bühne. Für die beste Regie. Und stach dabei die großen Konkurrenten Quentin Tarantino, Sam Mendes und vor allem Martin Scorsese aus, einen Mann, den Bong immer bewundert hat. Aber der wahrlich historische Moment kam ganz zum Schluss, als der Südkoreaner dann auch noch in der Hauptkategorie triumphierte. Die Sensation über die Gesellschaftssatire aus Südkorea war perfekt.

Dass „Parasite“, der schon die Goldene Palme und einen Golden Globe gewonnen hatte, beim Oscar in der Königskategorie siegen könnte, das hätte man bestenfalls heimlich gehofft, aber doch nie für möglich gehalten. Schließlich ist die Filmakademie von Hollywood, die über die Oscars entscheidet, ja oft in letzter Sekunde vor ihrem eigenen Mut zurückgeschreckt. Man denke nur an „Brokeback Mountain“, der alle Preise der Welt eingeheimst hat und auch alle wichtigen Oscars, nur eben den einen, den wichtigsten, nicht. Damals hatte sich die Akademie nicht getraut, einen Schwulenfilm die allerhöchsten Weihen zu erteilen. Diesmal war sie kühn genug, über den eigenen Tellerrand zu schauen.

Beste Darstellerinnen: Laura Dern und Renée Zellweger

Gerade in den vergangenen Jahren ist die Oscar-Show immer mehr zur reinen Werbeplattform für Hollywood geworden. Auch mit einem gewissen Trotz gegen den großen Konkurrenten des Hollywoodsystems, den Streamingplattform-Riesen Netflix, den man in diesem Jahr erneut kleinhielt. Zwar trat der Streamingdienst mit insgesamt 24 Nominierungen an, am Ende gab es aber nur einen Oscar – für Laura Dern als beste Nebendarstellerin in „Marriage Story“.

Die Schauspielerpreise durfte Hollywood ansonsten unter sich ausmachen. Als beste Hauptdarstellerin gewann wie erwartet Renée Zellweger als Judy Garland in „Judy“. Sie nutzte jeden Stau, um sich auf ihre Rolle vorzubereiten.

Beste Darsteller: Brad Pitt und Joaquin Phoenix

Eine Verneigung auch vor dem klassischen Hollywood – und vor einem Star, der selbst nie den Oscar gewonnen hat. Brad Pitt wurde als Nebendarsteller für „Once upon a Time in … Hollywood“ ausgezeichnet, auch das ein Film, der der alten Traumfabrik huldigt. Es war seine vierte Nominierung als Schauspieler.

Für Joaquin Phoenix war es ebenfalls die vierte Nominierung, auch er war mal „an der Reihe“ und hat nun endlich mit dem Comicfilm „Joker“ die höchste Weihe als Hauptdarsteller erhalten. So weit, so vorhersehbar. Aber „Joker“ war als großer Favorit mit elf Nominierungen ins Rennen gegangen – und gewann am Ende nur zwei Trophäen, die zweite, fast ein Trostpreis: für die Musik.

Regisseur Martin Scorsese ging mit „The Irishman“ leer aus

Auch die anderen Favoriten sahen alt aus. Am ärgsten traf es Martin Scorsese, dessen für Netflix produziertes Spätwerk „The Irishman“ zehnmal nominiert war, aber nicht eine einzige Trophäe ergattern konnte. Tarantinos „Hollywood“, ebenfalls zehnmal nominiert, brachte es immerhin auf zwei Oscars, neben Pitt auch für das Production Design. Und Sam Mendes’ unkonventionelles Kriegsdrama „1917“, der Dritte der Zehnfachnominierten, brachte es sogar auf drei Oscars: für Kamera, Tonmischung und Visuelle Effekte.

Aber während dieser Film gerade in der sogenannten Award Season überall als bester Film triumphiert, angefangen bei den Globes, unterlag er nun in Hollywoods hauseigener Preisverleihung dem Südkoreaner, dem man lediglich Außenseiterchancen eingeräumt hatte. Der „nur“ sechsmal nominiert war, aber viermal gewann, darin in den drei wichtigsten Kategorien. Durchaus ein historischer, ein epochaler Abend.

Joaquin Phoenix plädiert für die Liebe

Mit diesem Votum kann sich Hollywood feiern als das bessere, weltoffene Amerika, als klare Phalanx und Antithese zum isolationistischen Kurs eines Donald Trump. Aber so weit geht Hollywood dann wieder nicht, dies auch offen anzusprechen. Vorbei die Zeiten, wo man sich auf der Bühne klar politisch geäußert hat. Einen Moderator hat man sich bei den Oscars gleich zum zweiten Mal in Folge gespart, damit keiner böse Seitenhiebe verteilt.

Aber da war ja noch Joaquin Phoenix, seit jeher als unkonventionell und als geradezu anpassungsunfähig verschrien. Er durchbrach dankenswerterweise die doch sehr weichgespülte Wir-haben-uns-alle-lieb-Show, indem er ein paar Wahrheiten aussprach. Es müsse einen Kampf geben gegen den Glauben, dass eine Nation, ein Volk, eine Rasse oder eine Spezies das Recht habe, eine andere zu beherrschen oder auszubeuten, sagte er etwa und schloss mit Versen seines früh gestorbenen Bruders River Phoenix: „Rettet die Welt mit Liebe, und der Frieden wird folgen.“