Laeiszhalle

Martha Argerichs Vorglühen mit Freunden und Familie

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Joachim Mischke
Vierhändig virtuos: Martha Argerich und Khatia Buniatishvili (links).

Vierhändig virtuos: Martha Argerich und Khatia Buniatishvili (links).

Foto: Daniel Dittus

Festival der Jahrhundert-Pianistin begann mit Kammermusik in der Laeiszhalle. Enormer Jubel, große Freude und eine erste rote Rose.

Hamburg. Elf Konzerte an zehn Tagen und die Probenzeit ist noch gar nicht mitgerechnet. Da muss man sich auch als Jahrhundert-Künstlerin seine Kräfte gut einteilen, umso mehr, wenn man, wie der Star dieses Marathons, jugendliche 78 ist. Deswegen war der umjubelte Auftakt des Martha-Argerich-Festivals am Donnerstag in der Laeiszhalle in seiner Orakelhaftigkeit wie Wagners „Rheingold“-Vorspiel für den „Ring“: Schon viel Schönes im Detail dabei und die Andeutungen der Aufgabenteilungen werden offenkundig; aber alles wird in kleineren Dosen verabreicht, denn die kräfteraubenderen Langstrecken lauern direkt hinter der nächsten Anhöhe.

Dass Argerichs lange Anwesenheit in Hamburg deutlich mehr als etwas Besonderes ist, unterstrich Symphoniker-Intendant Daniel Kühnel in seiner Begrüßung, in der er sich mächtig freute und ihr – so charmant wie anatomisch schwierig – „auf den Knien unseres kollektiven Herzens“ vorauseilend für die noch kommenden Konzerte und Erfahrungen dankte.

Freiraum zum Ausreizen der rustikalen Rhythmen

Danach begann es tatsächlich, und: unspektakulär. Bescheiden geradezu. Kein erste großer Solo-Auftritt einer losdonnernden Legende, sondern hilfreiches Begleiten und Mit-Spielen in Bartóks „Rumänischen Volkstänzen“. Solche Sekundantinnen dürfte der Symphoniker-Konzertmeister Adrian Iliescu nicht alle Tage neben sich am Flügel haben, doch Argerich tat freundlich und zuvorkommend alles, um ihm genügend Freiraum zum Ausreizen der rustikalen Rhythmen zu geben.

Vor der Pause waren es Bekannte und Verwandte, die sich Argerich als Mitmacher für diesen Abend auf die Bühne eingeladen hatte: Mit Ihrem Ex-Ehemann Stephen Kovacevich gönnte sie sich zunächst klassische Spieluhr-Niedlichkeit in einem Mozart-Andante mit Variationen, klein, fein, mit jener unaufgeregten Gelassenheit, für die es gereifte Erfahrung braucht.

Man mochte sich, das hörte man

Beim Mozart-Klavierquartett KV 493 setzte Argerich eine Runde aus, sie überließ es Kovacevich, dem Symphoniker-Stammgast-Geiger Guy Braunstein, dem nächsten Symphoniker-Residenzkünstler Andrei Ionita am Cello und ihrer Tochter Lyda Chen (Viola). Auch hier die reine, klare Freude am gediegenen Miteinander; dass Kovacevich es mit der Trennschärfe in den Läufen nicht immer so ganz genau nahm und Braunstein subtil den Platz des ersten unter eigentlich Gleichen für sich beanspruchte? Halb so schlimm, die generelle Stimmung war dennoch gut. Man mochte sich, das hörte man.

Für Schumanns „Kinderszenen“ ist ein stabiler Ruhepuls notwendig, weil sie weniger einfach, naiv und anspruchslos sind, als sie scheinen. Diese innere Ruhe war Argerich in den ersten Stückchen noch nicht vergönnt; obwohl sie beim „Von fremden Ländern und Menschen“ aus wenigen Noten eine kleine Welt skizzierte, brauchte es bis zur „Träumerei“, die Balance zwischen Tempogefühl und Klangfarbigkeit zu finden. Dafür endete dieses Konzert-Kapitel immerhin mit einem eindringlich erzählten „Der Dichter spricht“-Abschluss.

Satt überzuckerte und abgebremste Interpretation

Bevor sie mit Argerich die vierhändige Klavierfassung von Ravels „Laideronette“ aus dessen märchenhaften „Ma mère l’oye“-Episoden in die Tasten zauberte, hatte man Khatia Buniatishvili eine Werbeeinblendung für ihr aktuelles Schubert-Album gewährt: Das „Ständchen“ aus dem „Schwanengesang“, das aber in ihrer satt überzuckerten und abgebremsten Interpretation mehr nach selbstverknalltem Chopin als nach melancholisch vergrübeltem Schubert klang. Dafür war die Chinoiserie von Ravel umso aparter und stimmiger, das machte den sedierten Schubert letztlich wett.

Noch gelungener allerdings, hier waren offensichtlich zwei Herzen im Dreivierteltakt vereint, war der vierhändige Rachmaninow-Walzer: Synchronschwelgen in den Noten, elegant und mondän, schmachtend und charismatisch.

Beeindruckender Abschluss, ganz ohne Argerichs eigenhändiges Zutun: die A-Dur-Violinsonate von Franck, mit Braunstein und Buniatishvili. Drei Sätze lang ein Meisterwerk, in dem die Sonne nicht scheint, in dem lange, fahle Linien so auszuspielen sind, dass das Wort „Innigkeit“ stimmt und dennoch nicht antiquiert wirkt.

Braunstein war ein großartiger Grübler, Buniatishvili eine sensible Wegbegleitung in den Hit hinein, das aufbrausende Final-Allegretto. Enormer Jubel, große Freude und die erste rote Rose für die leading Lady.