Hamburg

Musical-Spektakel unter freiem Himmel

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Heinrich Oehmsen

Die Hamburger Regy Clasen und Martin Tingvall haben die Musik für die Kieler Premiere von Shakespeares „Was ihr wollt“ geschrieben

Hamburg.  Mit Stepptanz hat Martin Tingvall eigentlich nichts am Hut. In der Klangwelt des schwedischen Jazzpianisten und Komponisten kommt das perkussive Klicke-di-klick nicht vor. Aber wer Musik für ein Musical schreibt, muss sich auch mit den Theatergenre Vaudeville und mit Broadway-Shows auseinandersetzen. „Das ist eine ganz neue Welt für mich, aber sie ist sehr spannend“, sagt Tingvall und meint nicht nur Step Dance, sondern das gesamte Musical-Metier.

Zusammen mit der Sängerin und Songschreiberin Regy Clasen hat der Jazz-Pianist die Musik für William Shakespeares „Was ihr wollt“ geschrieben. Das ist eigentlich eine Komödie, doch Regisseur Daniel Karasek inszeniert das Stück als Singspiel auf einer Open-Air-Bühne an der Förde. Der Intendant der Kieler Bühnen verlässt seit ein paar Jahren seine festen Spielstätten, um den Kielern ein theatrales Spektakel unter freiem Himmel zu präsentieren. In diesem Jahr ist seine Wahl auf Shakespeare gefallen. Und auf Martin Tingvall.

Die Größe des Projekts war Tingvall anfangs nicht klar

„Daniel Karasek hat im Auto oft Musik von meinem Trio und meine Soloaufnahmen gehört. Deshalb ist er auf mich gekommen“, erzählt Tingvall. Anfang des Jahres kam Karasek mit seinem Team nach Hamburg. Im Café Knuth in Ottensen erläuterte er Tingvall seine Vorstellungen. Der wollte die Verantwortung für so ein großes Projekt nicht allein übernehmen, aber auch da hatte Karasek bereits eine Idee. Er schlug Regy Clasen vor. „Ich habe in der Vergangenheit schon ein paar kleinere Sachen gemeinsam mit Regy gemacht, insofern hatte ich keine Bedenken“, erzählt der Schwede. Doch er räumt ein, dass ihm die Größe des Projekts anfangs nicht recht klar war. „Im Laufe der Monate und Wochen ist es immer mehr an Musik geworden. Es gab zwar ein Gerüst, aber die Inszenierung wurde von Karasek und seiner Dramaturgin Kerstin Daiber immer weiterentwickelt, und ich musste Song auf Song schreiben.“ Auch eine Stepp-Nummer.

Tingvall und Clasen gerieten ganz schön unter Druck. „Martin hat zuerst die Musik geschrieben und mir geschickt, ich habe dann oft über Nacht auf die Melodien getextet“, berichtet die Songschreiberin. Im nächsten Schritt nahm sie Gesangsdemos auf, die sie an Tingvall und nach Kiel schickte. „Wir mussten unsere Komfortzonen verlassen, denn ich konnte nicht in dem musikalischen Wasser schwimmen, das ich gewohnt war“, so Tingvall. „Ich musste stilistisch völlig anders komponieren.“ Auch für Regy Clasen war die Aufgabe anfangs ungewohnt. „Ich schreibe eher melancholische Songs. Plötzlich sollte ich witzig sein. Das hat mich schon gefordert, aber beim Schreiben hat es dann super funktioniert.“

Clasen wurde noch die Extra-Aufgabe zuteil, Liedtexte, die Shakespeare für seine Komödie geschrieben hatte, singbar zu machen und Melodien zu finden. „Ich hatte große Ehrfurcht vor diesen Texten aus der Feder dieses Theater-Giganten“, gibt sie zu. Auch für die Figuren des Stücks suchte sie nach einer stimmigen Sprache – für den liebestollen Malvolio ebenso wie für die umworbene Olivia. „Wichtig war, dass der Text groovt“, sagt Clasen. Kitschig durften die Lieder natürlich auch nicht sein, sondern eher turbulent. In dem Liebesreigen um die schöne Gräfin Olivia geht es schließlich drunter und drüber, gibt es Verwechslungen, Intrigen und vertauschten Geschlechterrollen.

Ein bisschen Hollywood darf es auch in Kiel sein. Das Plakat von „Was ihr wollt“ spielt auf ein Musical an, das vor zwei Jahren mit großem Erfolg in den Kinos lief: „La La Land“ mit Ryan Gosling und Emma Stone war 2016 das Comeback des Musicals auf der großen Leinwand. „Ein bisschen Opulenz gehört dazu. Immerhin wird unser Stück vor fast 1000 Zuschauern auf einer Freilichtbühne aufgeführt. Da braucht auch die Musik Wumms“, sagt Tingvall. Gespielt wird sie von einer sechsköpfigen Band, dazu kommen Tänzer und natürlich die Schauspieler. Zur Aufführung gelangt Shakespeares Komödie auf dem ehemaligen Gelände des Marinegeschwaders 5 in Kiel-Holtenau; Premiere ist am 29. Juni. An gleich drei Orten in der Stadt ist an diesem Abend Public Viewing geplant.

Auf der Bühne werden die beiden in Kiel nicht stehen

Für Tingvall und Clasen ungewohnt. Sie werden nicht selbst auf der Bühne. „Es ist schwer loszulassen. Wir haben nicht mehr in der Hand, was passiert“, sagt Tingvall. „Lampenfieber haben wir trotzdem“, ergänzt Clasen. Bei Martin Tingvall ist an ein Ausruhen auch nach der Premiere nicht zu denken: Parallel zu „Was ihr wollt“ hat er die Musik für den nächsten „Tatort“ aus Dortmund geschrieben, als Nächstes stehen die Proben für den „Hamburger Pianosommer“ an, bei dem er im August gemeinsam mit Joja Wendt, Axel Zwingenberger und Sebastian Knauer in der Hamburger Staatsoper auftritt. Für das zweite Halbjahr 2018 hofft Tingvall aber auf entspanntere Phasen: „Dann werde ich wieder Musik für mich selbst schreiben.“ Aber vorher geht erst einmal der Lappen in Kiel hoch ...

„Was ihr wollt“ Premiere Fr 29.6., 20.30, Premiere ausverkauft, weitere Vorstellungen 3. bis 14.7., MfG-5-Gelände, Kiel-Holtenau, Schusterkrug, Karten ab 33,-; weitere Infos: www.theater-kiel.de