Hamburg

Goethes „Faust“ auf der Reeperbahn

| Lesedauer: 2 Minuten
Falk Schreiber

Hamburg.  Um genau zu sein, sucht Goethes „Faust“ nicht das Glück, der sucht Erleuchtung. Die er zumindest in der Wissenschaft nicht findet: „Habe nun, ach, Philosophie studiert …“, die Klage ist bekannt. Aber wir sind auf der Reeperbahn, und die bietet mit ihren Glücksversprechen tatsächlich eine gewisse Erleuchtung: für das ältere Paar, das erst ein Musical besucht und später im Hotel verschüttete Liebeserfahrungen ausgräbt. Oder für den schlichten Typen, der sich gleich abschießen und dann die Nacht durchtanzen wird. Die sind glücklich, und in diesem Glück sind sie erleuchtet. Behauptet Mephisto, und, na ja, warum nicht mal die einfachen Freuden ausprobieren?

Die Idee, „Faust“ ins Vergnügungsviertel zu stecken, ist nicht neu. Aber indem die Hamburger Theatermacher Die Azubis, Christopher Weiß und Kai Fischer die Geschichte als Audiowalk über die Reeperbahn anlegen, schlagen sie aus der allzu naheliegenden Idee überraschende Funken. Eine sechs Zuschauer starke „Faust“-Gruppe wird von Mephisto über den Kiez gelotst, der Eingang der Absturzkneipe Clochard stellt Auerbachs Keller dar, ein Automatenkasino die (empört zurückgewiesene) Versuchung durch Geld, und Gretchens Kammer ist eine stilecht schraddelige Dachgeschoss-WG, in der Sekt aus Pappbechern serviert wird. Das funktioniert, weil Weiß und Fischer ihr Konzept, mit verhältnismäßig einfachen Mitteln spektakuläre Theatererlebnisse zu kreieren, mittlerweile perfektioniert haben.

Dass dabei Goethes Drama verhältnismäßig brav erzählt wird, fällt kaum ins Gewicht. Zumal hier ein perfekt harmonierendes Ensemble agiert: ein Gretchen, das bei Lucie Wittenberg ein zwischen Naivität und Ehrlichkeit schwankendes Hipstermädchen ist. Marthe, bei Sandra Lange eine immer etwas zu laut lachende, dabei herzensgute Dampfwalze. Vor allem aber Johannes Nehlsens Mephisto, ein charmesprühender Hallodri, dem man nicht böse sein will, und als man merkt, dass man es doch sein sollte, ist es zu spät.

Ganz bis zum Ende hält die Inszenierung dieses Niveau nicht durch. Nach der dicht gebauten Nacht in Gretchens WG-Zimmer fällt die Spannung ab, verläppert das Stück, um schließlich im Kirchenraum von St. Trinitatis zum Ende zu finden. Ein starkes Schlussbild, das freilich in seinem religiösen Pathos ein wenig verrutscht wirkt, ein Fremdkörper in dieser sehr heutigen, sehr kieznahen „Faust“-Aneignung.

„Dr. Faustus sucht das Glück“ wieder am
8., 10., 11. April, jeweils 20.15, Tickets über dieazubis.faust@gmail.com, der Treffpunkt wird nach der Kartenreservierung mitgeteilt

( fks )