Hamburg. Die erste Grenze spürt auch der Zuschauer in der Uraufführung von Jessica Nupens Tanzperformance „Don’t Trust the Border“ auf Kampnagel. Ein Gazevorhang trennt zunächst die vier Zuschauertribünen von dem Geschehen. Ein Sarg wird hereingetragen, maskierte Tänzerinnen und Tänzer singen die deutsche Nationalhymne, leiten dann über in ein afrikanisches Lied.
Nupen und ihr siebenköpfiges deutsch-südafrikanisches Team deklinieren in dem episodisch angelegten Abend, der mehr Tanztheater als pure Tanzabstraktion ist, verschiedene Grenzzustände durch. Mal wird ein Tänzer zur Marionette eines anderen, mal entscheidet ein Uniformierter willkürlich, wer seine Matratze benutzen darf. Sie wird zum Symbol von Nähe, aber auch Verzweiflung, wenn zu sanftem Plätschern Gedanken an die Fluchtboote im Mittelmeer aufkommen.
Mögen manche Bilder auf den ersten Blick plakativ wirken, bekommt Nupen stets noch die Kurve. Szenen werden in ihrer Eindeutigkeit gebrochen oder überraschend abgelöst. Temporeicher zeitgenössischer Tanz – selten synchron, aber der anarchische Charakter ist gewollt – wechselt mit Spiel, in dem ein Telefonat die Grenzen der Kommunikation aufzeigt oder die Hamburger Tänzerin Angela Kecinski den elegant miteinander walzenden Thamsanqa Masoka und Mbulelo Jonas die fröhlich-blumigen Klamotten vom Leib reißt. Dynamik wechselt mit Ruhe.
Die Stärke liegt im Reichtum der Bilder, die stets dicht am Thema bleiben. In einer starken Szene marschiert das Ensemble zu ruppigen Klängen von Luca Hinrichs und Lucinee Der Karapetian in Soldatenmontur auf, um kurz darauf in einen hemmungslosen Tanz auszubrechen. Unerbittlicher ist die Grenze fast nur dann zu spüren, wenn ein langes von Lorin Sokool und Olivia Papoli-Barawati gehaltenes Band seine Undurchdringlichkeit körperlich erfahrbar macht. Es schmerzt, diese metaphorischen Beispiele von Unfreiheit, Angst und Paranoia zu beobachten. Die Grenzen wiederum erzeugen Resignation – aber auch Widerstand. In unserer globalisierten Welt sind die Grenzen zum Teil fließend, doch wie lassen sie sich für den Einzelnen definieren? Wie mit den Gedanken von Offenheit und Menschlichkeit verbinden? Fragen, die den Zuschauer berühren, während Tänzerinnen und Tänzer die Gazevorhänge auf- und zuziehen.
„Don’t Trust the Border“ ist das bislang ambitionierteste Projekt der in Südafrika geborenen und in Hamburg lebenden Choreografin Jessica Nupen, die selbst nur einen kurzen Text aus dem Off spricht. Sie wagt sich weit heraus über frühere, athletischere Arbeiten. Erneut integriert sie Tanz, Musik und die fantasievollen Kostüme von Joel Janse Van Vuuren. Wer weiß, vielleicht gelingt ihr mit „Don’t Trust the Border“ der Sprung zu überregionaler Bekanntheit. Wenn am Ende, als alle nur noch Unterwäsche am Leib tragen, Thamsanqa Masoka in die Dunkelheit tanzt, spürt man so etwas wie ein erleichterndes Gefühl von Freiheit. Freiheit, die für manche, hierzulande und anderswo, schwer erkämpft ist.
„Don’t Trust the Border“ bis So 21.1., jew. 20.00, Kampnagel, Jarrestraße 20–24, Karten unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de
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