Hamburg. Seit Jahrzehnten kursieren in unzähligen Magazinen erotisch aufgeladene Modefotos, in denen die Models nur halb bekleidet sind und mit Schlafzimmerblick und feuchten offenen Lippen ins Bild blicken. Wie solche Fotos entstehen, hat bis dato kaum jemanden interessiert. Die Vorwürfe sexueller Belästigung gegen Donald Trump, Harvey Weinstein und Dieter Wedel, die unter anderem durch die #MeToo-Kampagne auf weiblicher Seite bekannt wurden, hat die Sensibilität erhöht und jetzt auch die Männer und die Modebranche erfasst.
Wie die „New York Times“ berichtete, haben 15 ehemalige männliche Models dem US-Modefotografen Bruce Weber mehrfache sexuelle Übergriffe vorgeworfen. In dem von drei Journalisten recherchierten Artikel werden sehr viele Betroffene und Zeugen zitiert, der Fotograf selbst dementiert die Anschuldigungen. Im Dezember 2017 wurde vor einem New Yorker Gericht Klage gegen ihn eingereicht. Als Konsequenz hat nun in Hamburg das Haus der Photographie in den Deichtorhallen die für Ende Oktober geplante monografische Bruce-Weber-Ausstellung auf Eis gelegt. Auch der Condé Nast Verlag, der unter anderem die Vogue herausbringt, hat die Zusammenarbeit mit Bruce Weber vorerst beendet.
Seit drei Jahren arbeitet Ingo Taubhorn, Kurator am Haus der Photographie, an den Vorbereitungen der Bruce-Weber-Ausstellung, in der er dessen Arbeiten aus vier Jahrzehnten präsentieren wollte. Weber wurde vor allem durch Schwarz-Weiß-Kampagnen von Calvin Klein bekannt. Er fotografierte für Ralph Lauren, Abercrombie & Fitch, Volvo, Karl Lagerfeld, Versace. Er inszenierte weniger die Kleidung, als vielmehr die Menschen vor seiner Kamera.
Der Hamburger Fotograf und Sammler F. C. Gundlach hat vor allem in den 1980er-Jahren Arbeiten von Weber gesammelt. „Seine künstlerische Qualität steht außer Frage. Seine Fotos sind Kunst“, sagt Deichtorhallen-Direktor Dirk Luckow, der überzeugt ist, dass die Bruce-Weber-Ausstellung „ein Hit“ in diesem Jahr geworden wäre. Er habe „eine neue Ästhetik entwickelt“, sein Werk drücke „ein Freiheitsgefühl“ aus. „Wenn man aber nicht weiß, wofür der Fotograf die jeweilige Situation ausgenutzt hat, dann transportiert das die Bilder anders, Inhalte und Blick sind nicht mehr frei“, sagt der Direktor.
Ihm gegenüber habe Bruce Weber „seine Unschuld beteuert“. Luckow hat das Projekt nicht abgesagt, sondern verschoben, weil er sich „an einer moralischen Vorverurteilung des Künstlers nicht beteiligen“ will. Auch gehe es ja „nicht um Vergewaltigung“. Die in der „New York Times“ zitierten Models erzählen stattdessen, dass sie sich ohne erkennbaren Grund nackt ausziehen sollten oder von Weber aufgefordert wurden, die eigenen Genitalien zu berühren. Weber habe das auch selbst getan.
Die Grenzen in der Modefotografie sind immer wieder verschoben worden. Auch dorthin, wo die Intimität eines Menschen berührt wird. „Es ist ein gewisser Graubereich“, gibt Luckow zu. „Aber wenn ein Fotograf seine Stellung gegenüber einem Model ausnutzt, dann ist das inakzeptabel.“
Von Paul Gauguin bis zu einigen Expressionisten gebe es auch in der Bildenden Kunst genügend Beispiele sexueller Ausbeutung, „aber die sind heute verjährt“.
Auf den freien Platz im Deichtorhallen-Programm rückt nun eine Ausstellung des deutschamerikanischen Fotografen und dreifachen World-Press-Award-Gewinners Michael Wolf, die eigentlich für 2019 vorgesehen war. Keine Mode, sondern subjektive Dokumentarfotografie, häufig aus dem extrem dicht bebauten Hongkong, wo Wolf seit 20 Jahren lebt.
Dirk Luckow denkt positiv: „Die Ausstellung von Michael Wolf kann genauso ein Riesenerfolg werden, davon bin ich überzeugt.“
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