Hamburg. Der heimatlose Schädel will einfach nicht zu seinen rechtmäßigen Nachfahren gelangen. Er solle ihn doch in den Rhein werfen oder ins Meer, schlägt am Ende ein Gesprächspartner in Afrika vor. Da hat der Schauspieler Konradin Kunze, der sich in der künstlerischen Vermengung zweier Biografien hier Konradin Ziegenfuß nennt, schon eine wahre Odyssee durch den Dschungel der Bürokratie hinter sich.
Eigentlich will er in der Lecture-Performance „Schädel X“, die derzeit an passendem Ort, im ehrwürdigen Hörsaal des Museums für Völkerkunde Hamburg, gastiert, doch nur einen 100 Jahre alten – mutmaßlich aus Afrika geraubten – Schädel aus Familienbesitz zurückgeben. „Rehumanisieren.“ Doch so einfach ist das nicht. Man kann nicht einfach so mit einem Schädel auf Reisen gehen. Und wenn man ihn anständig begraben will, nach welchem Ritual?
Viele Geheimnisse lagern gut verpackt in den Kellern deutscher Universitäten und Museen. Darunter Tausende Schädel aus ehemaligen Kolonien vor allem Deutsch-Südwestafrikas, die nach kriegerischen Auseinandersetzungen Wissenschaftlern für Forschungen zum Zwecke der „Rassenuntersuchung“ zugesandt wurden. Ein aus heutiger Sicht ungeheuerlicher Vorgang. Abgeschlossen ist dieses Kapitel postkolonialen Erbes noch lange nicht, wie diese Performance eindrucksvoll vorführt.
Die Produktion des Lichthof-Theaters in Kooperation mit dem Museum für Völkerkunde Hamburg gibt sich den pseudo-objektiven Anstrich eines wissenschaftlichen Vortrags. Manchmal hölzern, meist geschickt mischt sie über Kopfhörer Kolonialgeschichte und Biografie. Kunze tritt als Sohn von Gerhard Ziegenfuß auf, ein Schauspielanwärter, der für einen Hamlet-Dialog den väterlichen Schädel vom Kaminsims nimmt – und sich für seine Geschichte zu interessieren beginnt. Er stößt auf einen Urgroßonkel, der als Missionar im damaligen Deutsch-Südwestafrika lebte.
Kunze/Ziegenfuß reist mitsamt dem Schädel vom Labor der Berliner Charité zur Gerichtsmedizin in Münster. Die Erkenntnisse der Wissenschaft sind höchst unterschiedlich. Mal soll der Schädel zu einer Frau gehören, die auch aus dem Erzgebirge stammen könnte, dann wieder zu einem Mann, dessen Herkunft eindeutig südlich der Sahara zu verorten ist.
Beim einstigen Besitzer selbst, dem Missionar Ziegenfuß, finden sich Spuren zu einem Chief vom Stamm der Herero in Namibia. Konradin Ziegenfuß schreibt nun in der Performance Brief um Brief, projiziert Aussagen von Nachfahren des Chiefs auf den – nicht originalen – Schädel. Letztlich bleibt die Herkunft unklar. Die Rückgabe strandet vor immer neuen Hindernissen.
Inzwischen wurden einige Gebeine in ihre Ursprungsländer zurücküberführt. Nur, und das ergab auch die Anschlussdiskussion, ist das nicht längst überholte Geschichte. Der dahinter stehende Rassismus ist nicht aufgearbeitet. Kunze kommt mit den Mitteln der Kunst und des Theaters weiter als so mancher Provenienzforscher. Er stößt einen lange überfälligen Diskurs an.
„Schädel X“ 18.1., 18.30, Museum für
Völkerkunde Hamburg, Rothenbaumchaussee 64, Karten 17/erm. 9 Euro
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