Hamburg

Eine „Winterreise“ mit Sprung in der Platte

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Marcus Stäbler

Mit dem kargen Charme von Indie-Pop-Balladen: Bernhard Langs Schubert-Variation in der Elbphilharmonie

Hamburg.  Vier Gitarristen zupfen dissonant knirschende Crescendi in die Saiten; ihre Instrumente sind haarscharf gegeneinander verstimmt. Ein eigentümlicher Sound, wie von Schritten auf brüchigem Eis. Er ist Leitmotiv und Ausgangspunkt des ersten Teils von Bernhard Langs 2015 vollendetem „The Cold Trip“: eine kompositorische Anverwandlung von Schuberts „Winterreise“, die seine romantische, aus 24 Liedern bestehende Erzählung über Einsamkeit, Schmerz und Todessehnen in eine englische Text- und moderne Klangsprache übersetzt – zu erleben bei der Hamburger Erstaufführung im Kleinen Saal der Elbphilharmonie.

Die frostigen, elektronisch verstärkten Farben vom Aleph Gitarrenquartett bilden das Fundament für den ebenfalls mikrofonierten Sopranpart, gesungen von der großartigen Sarah Maria Sun. Bernhard Lang legt ihr meist scheinbar einfache Melodiefloskeln und Sprechpassagen in die Stimme, schickt sie aber auch in Extremlagen und lässt manche Abschnitte mehrfach ruckartig wiederholen, als wäre ein Sprung in der Platte, Sprung in der Platte, Sprung in der Platte.

Durch solche Loops konterkariert Lang den pseudo-schlichten Tonfall der Musik, der mitunter an den kargen Charme von Indie-Pop-Balladen erinnert. Der Kontrast aus liedhaften Momenten und kunstvoll inszenierter Künstlichkeit spiegelt sich auch in der Performance: Sarah Maria Sun bewältigt die akrobatischen Sprünge auf dem vokalen Drahtseil mit beinahe puppenhafter Präzision, um im nächsten Moment mit einem Raunen der Bruststimme anzudeuten, dass womöglich doch echtes Blut in ihren Adern fließt.

An Suns Präsenz reicht der musikalisch ebenfalls sehr überzeugende Auftritt ihrer Kollegin Juliet Fraser nach der Pause nicht ganz heran. Sie singt, säuselt und kräht den zweiten Teil des Zyklus, umrahmt von einem sparsamen Klavierpart (Mark Knoop) und synthetischen Sounds, die aus den Boxen links und rechts oberhalb der Bühne in den Saal herabrieseln: Monotone Trommelschläge sind dabei, wie von einem billigen Drumcomputer ausgehustet, aber auch einfache Keyboardakkorde. Bernhard Lang vermischt diese demonstrativ simplen Klänge mit verfremdeten Zitaten – etwa aus der Melodie vom „Wegweiser“, die im Song „Deviant“ wieder aufschimmert – und Anspielungen auf Schuberts Harmonien zu einer merkwürdig surrealen Tonsprache. Damit schafft der österreichische Komponist eine kühle Distanz zum Original, die einem schön das Herz gefrieren lässt.