Hamburg. Cornelia Funke macht diesmal etwas anderes. Das neueste Werk der erfolgreichen Autorin, die lange in Ohlstedt gelebt hat, bevor sie vor mehr als zehn Jahren erst nach Los Angeles und später nach Malibu zog, ist kein Buch, sondern ein Hörspiel. Es ist eine Abenteuergeschichte aus der „Drachenreiter“-Reihe und heißt „Die Vulkan-Mission“: Lola Grauschwanz, Schwefelfell und Fliegenbein sind besorgt, weil immer mehr Fabelwesen verschwinden. Sie machen sich deshalb auf eine Reise nach Island. Zu den Sprechern zählen unter anderem Hans-Peter Hallwachs, Bjarne Mädel, Kathrin Angerer – und Cornelia Funke. Aufgenommen wurde das Hörspiel im Sommer in einem Tonstudio auf St. Pauli.
Prosa zu schreiben und ein Hörspiel aufzunehmen sind ziemlich unterschiedliche Dinge. Sie können beides?
Cornelia Funke: Ja, „Tintenherz“ hat schon gezeigt, wie sehr mich die menschliche Stimme verzaubert, deshalb habe ich mich auch schon immer sehr für meine Hörbücher engagiert. Es kommt mir im Grunde näher als ein Film.
Wie kam es dazu, dass Sie selbst eine Rolle sprechen?
Funke: Eduardo García, Inhaber und Produzent des Hamburger Tonstudios German Wahnsinn, hat mir die Rolle des Fotomäleons zugeteilt, einer Eidechse, die ein Foto auf ihrer Haut macht, wenn sie sich erschrickt. Sie ist etwas hysterisch, eine Drama-Queen.
Ist das Gemeinschaftserlebnis Hörspiel ein Gegenpol zum einsamen Schreiben?
Funke: Ja, und deshalb schätze ich das so. Dieses Hörspiel wendet sich an jüngere Leser und an solche, die sich nicht durch ein 400-Seiten-Buch quälen mögen. Wir haben im vergangenen Jahr dafür das Label Atmende Bücher gegründet.
Um größere Kontrolle über die Veröffentlichungen bekommen?
Funke: Ja, und um spielerischer arbeiten zu können. Verlage müssen das Geschäft kommerziell angehen. Mich interessiert das natürlich auch, aber der kreative Spaß spielt bei mir die Hauptrolle.
Wie haben Sie Ihre Leidenschaft für das klingende Wort entdeckt?
Funke: Ich bin eigentlich eher ein mündlicher Geschichtenerzähler. Ich lese mir auch alle meine Texte laut vor, während ich schreibe.
Hat diese neue Art zu arbeiten Ihren Alltag verändert?
Funke: Der verändert sich sowieso ständig. Seit Jahren verändere ich ständig meinen Arbeitsprozess. Ich schreibe mittlerweile wieder mit der Hand, entwickele Charaktere mithilfe von Skizzen und gehe dann erst ins Wort. Inzwischen male ich sogar große Ölgemälde von Figuren, die dann ihren Weg in meine Bücher finden. Ich arbeite viel mit Musik, engagiere mich für den Naturschutz und bin von Los Angeles nach Malibu gezogen. Dort lebt man wesentlich näher an der Natur.
Sie wollten einmal die Zyklen „Tintenwelt“ und „Reckless“ zusammenbringen. Was ist daraus geworden?
Funke: In der Kurzgeschichte „Das silberne Buch“ wird diese Verbindung ganz deutlich gezeigt. Auch in „Das goldene Garn“ spürt man sie. In der „Tintenwelt“-Fortsetzung „Die Farbe der Rache“, die ich gerade schreibe, wird das sehr deutlich werden.
Wie viele Bücher planen Sie im Voraus?
Funke: Ich arbeite gerade an dreien. Da sie alle etwas miteinander zu tun haben, ist das ein sehr leichtfüßiges Arbeiten. Seit ich in Malibu wohne, arbeite ich weniger und sitze dafür mehr am Strand.
Wir leben in politisch unsicheren Zeiten. Wie ist Ihre Sicht auf die Weltlage?
Funke: Die Brexit-Abstimmung war eine erste populistische Trotzreaktion. Kalifornien, wo ich lebe, ist ein „out of control state“. Wir wehren uns heftig gegen diesen sogenannten Präsidenten. Die Rebellion ist dort zurzeit allgegenwärtig. Ich hoffe, dass es jetzt ein Erwachen gibt. Demokratie fällt einem nicht in den Schoß, man muss schon etwas dafür tun. Weltweit gibt es ein sehr rassistisch geprägtes Comeback der Idee von Nationalstaaten. Mir kommt das vor wie ein altes Monster, dessen Zeit abgelaufen ist und das sich deshalb noch einmal aufbäumt.
Man schaut von Europa aus oft in die USA, andersherum scheint das weniger der Fall zu sein.
Funke: Ich glaube, man weiß in Europa ebenso wenig über den Unterschied zwischen Idaho und Oregon wie in den USA über die Unterschiede in Europa. Es ist wohl leider sehr natürlich, den eigenen Kontinent für den Nabel der Welt zu halten. Es bestürzt mich, welche Klischees von den USA es in Europa gibt – zum Beispiel, dass Amerikaner mehr für sich selbst agieren, während Europäer zusammenhalten. Das erlebe ich genau umgekehrt. Ich empfinde Europäer als viel vereinzelter und Amerikaner Fremden gegenüber wesentlich offener und hilfsbereiter.
Und was sagen Sie zur in Europa immer schon weit verbreiteten Ansicht, dass es in den USA nahezu kein Umweltbewusstsein gibt?
Funke: In den USA sind 25 Prozent der Landfläche naturgeschützt, Europa kommt auf 0,1 Prozent. Es existiert in Amerika ein ganz anderes Naturgefühl, weil es so weite, nicht von Menschen geprägte Landschaften gibt. Die zu erleben hat mich sehr verändert. Vielleicht nehmen Amerikaner den Schutz der Natur manchmal nicht so ernst, weil sie noch so viel davon haben. Das Zusammenleben mit tödlichen Tieren ist selbstverständlich, Wölfe und Bären sind noch nicht ausgerottet, auch wenn sie eine Gefahr für Menschen darstellen. Es ist selbstverständlich, dass Kojoten durch die Städte streichen und man Klapperschlangen mit Vorsicht begegnet. All das macht mir immer wieder bewusst, dass diese Welt nicht menschengemacht ist.
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