Hamburg

Nicht alles war erleuchtet

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Joachim Mischke

Eliahu Inbal übernahm für den erkrankten Kent Nagano die Leitung der Philharmoniker-Konzerte

Hamburg. Es war, das darf man wohl so bedeutungsvoll sagen, ein historischer Termin für die Musikstadt Hamburg. Bislang gab es hier keinen akustisch angemessenen Raum, um Gustav Mahlers monumentale Achte Sinfonie so aufzuführen, dass ihre Klangmassen nicht den architektonischen Rahmen des Aufführungsorts sprengen. Vergeblich versucht wurde es dennoch immer wieder, zuletzt 2011 vom NDR-Orchester unter Leitung von Christoph Eschenbach in der damaligen O2-World. Schön war das nicht. Eher laut und reichlich klangbreiig.

Kein Wunder also, dass dieses bei aller Bedeutungsschwere auch leicht circensische Stück in der Eröffnungssaison der Elbphilharmonie unbedingt auf den Spielplan kommen musste, als ein größtmöglicher Stresstest für die Akustik, auch wenn nicht einmal die Hälfte der legendären Ü1000-Besetzung der Münchner Uraufführung 1910 geboten wurde. Um es mit einer Anspielung auf den „Faust II“-Text im Schlusschor des zweiten Teils auszudrücken: Das bislang Unzulängliche sollte, endlich, voll und ganz Ereignis werden. Wo, wenn nicht dort, wann, wenn nicht jetzt?

Da Generalmusikdirektor Kent Nagano, ein Hamburger Nachfolger in der Amts-Ahnenreihe von Mahler, kurz vor den drei Aufführungen im Großen Saal erkrankt war, übernahm der seit Jahrzehnten als Mahler-Spezialist geltende Eliahu Inbal die Leitung der Philharmoniker-Konzerte. Ihm gelang am ersten der drei Termine dann auch sehr viel. Aber nicht alles.

In den extremen Momenten überzeugte die Weiße Haut

Denn während der 81 Jahre alte Inbal zwar mit erstaunlich gelassener, energiegeladener Aufmerksamkeit die über 300 Mitwirkenden straff auf Linie hielt, schaffte er es nicht immer, die Solisten in der heiklen Balance mit dem Tutti zur Geltung kommen zu lassen. Auch mit der Textverständlichkeit in den oratorischen Ensembleszenen war es zu oft nicht allzu weit her. Das allerdings mag sich angesichts der arg kurzen Vorbereitungszeit bei den Aufführungen am Sonntag und Montag geändert haben. Dafür entschädigte der buchstäblich überwältigende Hör-Eindruck bei vielen kritischen Stellen, in denen Mahler Orchester, Chöre, Alsterspatzen und Klais-Orgel himmelhochjauchzend entfesselte und sich auch das Fernorchester im Rang strahlend klar einmischte. In diesen extremen Momenten zeigte die Weiße Haut, was sie als Klangverfeinerer an den Wänden und Balkonen des Saals leisten kann. Die dröhnenden Tutti-Passagen im ersten Teil blieben in der Tiefe des Raums durchhörbar; beim ersten, hauchleisen Choreinsatz im Finale fiel Gott sei Dank nirgendwo eine Nadel auf den Holzboden, die man garantiert bis in den Bereich R in der 15. Etage gehört hätte.

Bei seiner Tempo-Gestaltung erdete Inbal das Riesen-Stück mit seinen Pathos-Wogen: Wo man keine bremsende Rücksicht auf die wabernde Überakustik einer Mehrzweckhalle nehmen muss, ist zügigere Gestaltung möglich. So entstand eine Mahler-Interpretation, die angenehm bodenständig war. Schade hingegen, geradezu tragisch: Die Elbphilharmonie-Akustik klärte nicht nur viele Einzelheiten der Partitur, sie entmythologisierte auch die atemlose Stille nach den Schlussakkorden der beiden Teile, die fast ernüchternd schnell wieder abklangen. Hier wäre etwas mehr sakrale Überwältigung schön gewesen, nachdem es 90 Minuten lang nur um Göttliches und Philosophisches ging, fürs Seelenheil und überhaupt.

Und dann waren da noch sieben riesige Leuchtkästen über der Bühne. Kirchenfensterartige Stelen, in denen es rätselhaft, sanft und mehrfarbig glimmern und glühen konnte, schon bevor es in der Vertonung des Pfingst-Hymnus „accende lumen sensibus“ („Den Sinnen zünde Lichter an“) hieß. Die Installation der Lichtkünstlerin ­rosalie, als Ergänzung, nicht als Ablenkung gedacht, hatte etwas unentschieden Dezentes: Farblos wirkten die Lichtleiter wie zufällig auftauchende Kondensstreifen der Ewigkeit, sobald sie die Farbverläufe wechselten, machte das einen ungewissen Eindruck. ­Dazu kam, dass die saaleigene Beleuchtung erhellend genug war, um Atmosphäre zu schaffen und Aufmerksamkeit dort zu bündeln, wo sie hingehörte: auf die Bühne. Und nun beginnt das Warten auf die nächste Repertoire-Übergröße: Schönbergs Oratorium „Gurre-Lieder“ Mitte Juni, dann wohl auch wieder mit Kent Nagano am Pult.