HAmburg. Waren es die Adidas-Sneakers, das E-Book oder die blonden Haare? Die Erzählerin (Vernesa Berbo) hat jedenfalls von einem fremden Mann einen brutalen Tritt in den Rücken bekommen und fragt sich nach dem Grund für diesen überraschenden Gewaltausbruch. Hat sie den Mann mit diesen Symbolen einer reichen westlichen Gesellschaft provoziert?
Der Angreifer war dem Aussehen nach ein junger Nordafrikaner mit dunklen Augen voller Hass. Wie ein „Dämon“ sei er ihr vorgekommen, berichtet die Frau. „Portrait Explosiv“ nennt Branko Šimić das Stück, mit dem er das von ihm kuratierte Krass-Festival auf Kampnagel eröffnet. Seine stärksten Momente hat dieser Theaterabend, wenn die Frau ihre Angst nach diesem unvorhergesehenen Angriff schildert – Angst, die auch noch Tage und Wochen nach der Tat da ist. Nicht ganz klar wird allerdings, warum Teile dieses Berichtes per Video eingespielt und andere direkt von Vernesa Berbo auf der Bühne erzählt werden.
Im weiteren Verlauf zerfasert diese anfangs dichte Erzählung, weil weitere Aspekte von Gewalt erörtert werden sollen. Häusliche Gewalt und die Leiden von Flüchtlingen werden mit dem oben beschriebenen Übergriff verknüpft. Drei Tänzerinnen und Sprecherinnen (Romy Mittag, Gifty Larty, Asja Künster) bietet Šimić dafür auf, doch die drei Themen fügen sich nicht zusammen.
Besonders platt wirkt eine Szene, in der Romy Mittag wie ein Conférencier das Publikum nach Gewaltstatistiken befragt. Das soll lustig sein, wirkt aber nur albern. Immer mehr driftet der Abend in Plattitüden ab, ein differenzierter Diskurs über Fluchtursachen, Traumatisierung und Schwierigkeiten der Integration findet nicht statt. Leider kann der Zuschauer nicht viele Erkenntnisse mit nach Hause nehmen. Vielleicht gar keine bis auf die, dass es gefährlich ist, in Berlin auf einer Bank zu sitzen, zu lesen und dabei Adidas-Schuhe zu tragen.
Informationen zum Krass-Festival unter www.krass-festival.de
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