Literatur

Carlos Ruiz Zafón: „Wir leben im Zeitalter der Lüge“

| Lesedauer: 5 Minuten
Annette Stiekele
Wenn er nicht auf Lesetour ist, lebt der spanische Autor Carlos Ruiz Zafón in
seiner Wahlheimat Los Angeles

Wenn er nicht auf Lesetour ist, lebt der spanische Autor Carlos Ruiz Zafón in seiner Wahlheimat Los Angeles

Foto: Marcelo Hernandez / HA

Der Erfolgsautor spricht mit dem Hamburger Abendblatt über seine Bestsellerromane und den Rechtspopulismus.

Hamburg.  Der Erfolgsautor trägt beim Interview im Hotel Atlantic einen Anzug, er ist so dunkel wie der Inhalt seiner Bücher. Carlos Ruiz Zafón hat von den vier Romanen seiner Barcelona-Reihe weltweit Millionen verkauft. Gerade ist in Deutschland „Das Labyrinth der Lichter“ erschienen, aus dem er jetzt in der ausverkauften Laeiszhalle las. In diesem abschließenden Band führt Zafón erneut in einem Mix aus Krimi, Schauerroman und Historiendrama früher gelegte Fährten zusammen. Im Abendblatt-Interview spricht er äußerst sanft – durchaus ein Kontrast zu den süffig erzählten Dramen in seinen Büchern.

Sie erzählen Tragödien von schönen, anbetungswürdigen Frauen und zerrissenen Männern, die häufig dem Teuflischen ergeben sind. Ihre Leser können davon nicht genug bekommen. Warum?

Carlos Ruiz Zafón: Ich wollte eine große Geschichte über die Literatur selbst, über die Erfahrung des Lesens und die des Schreibens verfassen. Gleichzeitig wollte ich die Ereignisse im Europa des 20. Jahrhundert reflektieren. Da gab es harte Zeiten, tragische Zeiten. Und natürlich nutze ich all die klassischen Elemente der Literatur des 19. Jahrhunderts: extreme Leidenschaft. Verbrechen. Leser lieben Geschichten nicht wegen des Inhalts, sondern weil sie gut erzählt sind.

Wussten Sie zu Beginn, wie die Geschichte einmal enden würde?

Ruiz Zafón: Ja, sonst wäre es unmöglich gewesen, das Ganze zu konstruieren. Meine Anfangsidee war es, ein Labyrinth zu schaffen mit vier Eingängen. Da ahnte ich nicht, dass ich 16 Jahre damit verbringen würde. Die Struktur habe ich mehrfach überarbeitet, immer neue Facetten der Charaktere erforscht.

Welcher ist Ihr Lieblingscharakter ?

Ruiz Zafón: Der destruktive Schriftsteller Julian Carax ist eine Art schaurige Karikatur meiner Selbst. Er muss erfahren, dass Literatur ein grausamer Liebhaber ist. Man gibt ihr alles, und sie liebt einen nicht zurück. Der Forschergeist Fermin Romero de Torres’ verkörpert mein Denken und meinen Humor. Alicia Gris, die fremdartige Frau im vierten Band, repräsentiert vielleicht meine feminine Seite. Für mich ist sie die Seele des Buches, meine Lieblingsfigur.

Alicia Gris ist eine zynische, abgeklärte Person ...

Ruiz Zafón: Sie ist eine Kreatur der Schatten, die zum Licht überlaufen will. Die Art, wie sie das Leben sieht, wie sie sich verhält, ist dicht an mir dran. Sie ist nur hübscher.

Was fasziniert die Leser heutzutage an Mystery und Schauerromanen?

Ruiz Zafón: Wir leben im Zeitalter der Lüge. Alles ist Fake. Wir können nicht mehr unterscheiden, wo die Lüge endet. Wir nehmen Abschied vom Universum, das auf Tatsachen basiert. Das ist sehr traurig. Kein Genre als der Schauerroman kann es besser mit unserer korrupten Welt aufnehmen. Er nimmt an, dass die Welt ein Trugbild ist mit einer Wahrheit darunter – und die ist oft nicht schön, sondern eben dunkel. Der Schauerroman ist das Genre unserer Zeit. Dabei nur auf Amerika zu zeigen ist gefährlich, es ist nur das lauteste Beispiel.

Alle Bände sind durchzogen von den finsteren Zeiten des Franco-Regimes. Dauert die künstlerische Aufarbeitung an?

Ruiz Zafón: Man muss sich mit den Realitäten des Lebens auseinandersetzen. Ich will nicht moralisieren. Ich hoffe, dass der Leser, wenn er das Buch schließt, kritischer auf die Welt schaut. Es ist wichtig, einige der dramatischsten Ereignisse es 20. Jahrhunderts nicht zu vergessen. Zu sehen, welch schrecklicher Dinge wir Menschen fähig sind. Aber auch die Fähigkeit zur Neuerfindung gehört dazu.

In Europa erleben wir von Frankreich über Belgien bis Deutschland das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte. Wie erklären Sie sich das?

Ruiz Zafón: Populismus ist eine Macht, die in Zeiten von Wohlstand schläft. Wenn die Menschen sich vernachlässigt fühlen, Wut und Frustration erwachen, dann kommen die Verkäufer und wittern Zugang zur Macht. Populismus und Fremdenhass sind wie ein Fieber, das die Schwachen attackiert, die Isolierten. Und dann breitet es sich aus.

Barcelona spielt in allen Büchern eine Hauptrolle. Welche Beziehung haben Sie zu der Stadt?

Ruiz Zafón: Ich bin da geboren, aufgewachsen und erlebte meine frühe Jugend. Die Stadt ist wie meine Mutter. Ich trage sie in mir. Ich glaube aber nicht, dass die Welt dort endet. Identität ist mehr, als der Ort, an dem man geboren ist. Der ist reiner Zufall.

Für was steht der „Friedhof der vergessenen Bücher“?

Ruiz Zafón: Der Friedhof ist eine Metapher für Erinnerung und Identität. Wir sind, was wir erinnern, was wir wissen, wo wir herkommen. Ohne zu wissen, was die Welt geformt hat, begreifen wir nichts und glauben jedem, der uns anlügt und verführen will. Aber egal wie stark die Kräfte sind, die das Wissen und das Denken zerstören wollen, es gibt immer Menschen, die es bewahren wollen. So wie in meinen Büchern.