Hamburg. Die Kamera, mit der er jahrelang alle Bau-Fortschritte dokumentierte, hat Yasuhisa Toyota nicht mehr griffbereit. Entspannt wirkt er. Warum auch nicht, seine im Kern unsichtbare Arbeit ist erledigt. Seit gut einer Woche tun die Gipsfaserplatten im Großen und die Eichenholz-Paneele im akustisch weniger kniffligen Kleinen Saal der Elbphilharmonie Abend für Abend, wofür Toyota sie entworfen hatte: Sie reflektieren Schallwellen.
Wie fein sie es bei den ersten Konzerten im Großen Saal taten, hat allerdings Debatten ausgelöst, bei denen selbst Zeitgenossen, in deren Leben Klassik noch keine große Rolle spielte, die Ohren klingelten. Kein Wunder, bei 789 Millionen Euro städtischem Anteil an den Kosten. Die vollmundig auf allen Plätzen versprochene Klang-Weltklasse ginge leider anders, hatte sich „Welt“-Kritiker Manuel Brug aufgeregt. Wenig hilfreich war es gewesen, ihn bei der Premiere des Großen Saals hinter dem Orchester und ausgerechnet hinter den Hörnern zu platzieren. Auch die „FAZ“-Kollegin Eleonore Büning war zunächst schockiert: „Dieser Konzertsaal kennt keine Gnade ... So eine brutal durchkalkulierte Studioakustik ist Toyota noch nie unterlaufen.“ Nach weiteren Konzerten, auf anderen Plätzen, relativierten sich manche anfangs harten Urteile.
Kann alles sein, kommentiert Toyotas Lächeln. Er kennt diese Anfangsaufregung seit vielen Jahren, hat sie oft und rund um die Welt erlebt. Sobald irgendwo ein neuer Toyota-Saal an den Start ging und alle sich zunächst verwirrt fragten, was sie dort hörten, wie gut und warum, war das so. Schlecht kann er das nicht finden.
Auch in der Elbphilharmonie ist der Klang offenbar noch längst nicht überall gleich gut. Doch hieße das automatisch, dass er stellenweise schlecht wäre? Wo wäre die Trennlinie zu ziehen? Das sind so die Fragen, mit denen man Toyota jederzeit gern kommen kann, auf die man aber lieber keine millimetergenau nachmessbare Antwort erwarten sollte. Und dass der „Spiegel“ gerade über unvorteilhafte Messergebnisse orakelte, ist für Toyota kein Thema. „Diese Diskussion ist schon sehr alt.“
„Ich war sehr froh, die Eröffnung war sensationell“, entgegnet er stattdessen. Wer hier recht habe, er oder die Kritiker? „Das weiß ich nicht.“ Was er weiß und mit Langmut gibt, sind jene Erklärungen, die er jedes Mal parat hat, wenn es ums Allerwichtigste eines neuen Konzertsaals geht. Geteilte Meinungen seien „ziemlich normal. Es ist aber noch zu früh, um darüber im Detail zu diskutieren. Auch das Residenzorchester hat noch zu wenig Erfahrung, zu wenig Zeit gehabt. Das ist also keine große Überraschung.“
Nicht wirklich überraschend von der Papierform her, aber im Saal selbst umso mehr, war die Performance vom Chicago Symphony Orchestra (CSO), das aus dem Tournee-Bus in den Großen Saal spazierte und brillierte, als wäre das ein Kinderspiel. „Aber das ist nun mal Chicago ...“, sagt Toyota und lächelt.
Wäre die Konsequenz daraus, dass insbesondere das NDR Elbphilharmonie Orchester, das seit September Erfahrungen in der Elbphilharmonie sammelt, schlicht noch nicht gut genug ist für diesen Saal? „Wenn man es direkt mit Chicago vergleicht ...“ Den Rest lässt Toyota höflich ungesagt. „Aber das NDR-Orchester ist dennoch ein gutes Orchester. Sie sind noch in einem Versuchsprozess, sie testen sehr viel aus. Seit den ersten Proben habe ich eine große Entwicklung erkannt, eine große Verbesserung. Sie mit dem CSO zu vergleichen, dafür braucht es noch etwas Zeit. Sie machen schon jetzt einen sehr guten Job.“
Wären Änderungen im Großen Saal nötig und bautechnisch möglich? „Ich glaube nicht, dass Änderungen hier als sehr notwendig betrachtet werden. Wir müssen jetzt einfach abwarten. Verschiedene Orchester spielen auf unterschiedliche Art und Weise. Sie müssen herausfinden, wie sie hier reagieren müssen“, sagt er. „Warum soll man so schnell ein Urteil über diesen Saal fällen? Über andere Säle gibt es viele Diskussionen, das ist ganz normal.“ Sogar in Paris, in der zwei Jahre älteren neuen Philharmonie, sei das so.
Er könnte sagen: abwarten, üben, Tee trinken, entspannen. Wird schon. Doch das sagt Toyota nicht, nicht zuletzt auch, weil im März das nächste Prestigeprojekt zum Abschluss ansteht: der Pierre-Boulez-Saal in Berlin, ein Kammermusik-Oval für Daniel Barenboims Orchesterakademie. Architekt ist Frank Gehry, mit dem Toyota die 2003 eröffnete Walt Disney Concert Hall für Los Angeles kreierte. Es gab dort anfängliche Verständnisprobleme bei der Akustik. Aber inzwischen ist dort längst alles easy going.
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