Hamburg

Eine Oper über den Tod und die Amüsierhölle

| Lesedauer: 2 Minuten
Ilja Stephan

Im TheaterQuartier in der Gaußstraße hatte Ullmanns „Kaiser von Atlantis“ Premiere

Hamburg. Eine Welt, die so kaputt ist, dass selbst dem Tod die Lust an der Arbeit vergeht, zeigt Victor Ullmanns 1942/42 im KZ Theresienstadt komponierte Oper „Der Kaiser von Atlantis“. Dass sie aus dieser düsteren Vorlage einen grandiosen Musiktheaterabend so zu gestalten versteht, beweist die Regisseurin Aileen Schneider mit ihrer Neuinszenierung, die am Donnerstag über die Bühne des TheaterQuartiers in der Gaußstraße ging.

Schneider verlegt die Handlung ins Varieté. Eine Phalanx großbusiger und voll automatisierter Showgirls bevölkert zwei für Revuenummern unerlässliche Showtreppen. Sie zeigen die Welt des Amüsierbetriebs, die Ullmanns Musik immer wieder herbeizitiert. Alle Mittel, die Schneider im Laufe des Abends einsetzt, ergeben sich überzeugend aus ihrer Deutung des Stoffes. Der Diktator Overall, der die Fäden in dieser Apokalypse zieht, erscheint zunächst als riesiger Big Brother, projiziert auf einen ­Gazevorhang vor der Bühne. Und der Bewegungschor der Showgirls durchbricht schließlich die vierte Wand und verteilt sich im Auditorium, während es unter den Zuschauerbänken hörbar ­rumort. Wir sitzen mittendrin in dieser Welt, zeigt uns das, ohne uns aufdringlich darüber zu belehren.

Obwohl das Showpersonal dem Publikum also eng auf die Pelle rückt, ist Zurückhaltung doch die eigentliche Stärke dieses Musiktheaterabends. Das ­Orchester unter Leitung von Yu Sugimoto begleitet einfühlsam ein sehr gutes Sänger- und Darstellerensemble. Kaum einmal erhebt sich die Musik über ein Mezzoforte. Dafür schweigt sie oft und lange. In solchen Besinnungsmomenten lässt Schneider die Stille und die Körper der Darsteller umso intensiver sprechen.

Musikalisch sind es vor allem die ­Zitate, die von Ullmanns Musik im ­Gedächtnis hängenbleiben. Da zieht ein bekanntes Kinderlied vorüber, genial umgedichtet auf die Worte „Schlaf, Kindchen, schlaf / Ich bin ein Epitaph“. Und der „Trommler“, eine Art Propagandaminister des Overall, lasziv verkörpert von Fie Freja Sandkamm, stimmt ein nach Moll gewandtes, groteskes Deutschlandlied an.

Johannes P. P. Braun gibt als „Lautsprecher“ den Conférencier in dieser Amüsierhölle – und man müsste ein Heiliger sein, um bei seinem Oscar-reifen Showmasterlächeln nicht ans Zähneeinschlagen zu denken. Timotheus Maas verkörpert einen ungewohnt mitfühlenden Tod. Henning Kaiser glänzt stimmlich und darstellerisch als Harlekin und Liebhaber der hingebungsvoll leidenden Bubikopf (Pia Carlotta Hansen). Justus Wilcken stellt den Kaiser Overall als nervösen und dekadenten Autokraten dar, der erst am Schluss, als seine Sache schon verloren ist, in einem Monolog zu voller Form aufläuft.

Weitere Vorstellungen: 19./20./22./24./25.11. jeweils um 20 Uhr, Karten zu EUR 20,- unter
T. 45 33 26