Rio de Janeiro

Hamburger Kunst im Olympia-Studio

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Björn Jensen

Jan Siebert malt Bilder für die Gäste der ARD

Rio de Janeiro. Es gibt eine Horrorgeschichte aus der Favela Vidigal. Ob sie stimmt, weiß niemand genau, aber dass viele glauben, dass sie stimmen könnte, sagt einiges aus über die Atmosphäre, die bis 2012 in dem Stadtviertel Rio de Janeiros herrschte, das sich mit Blick auf den Strand von Ipanema am Fuße des Bergs Dois Irmaos ausbreitet. Sie geht so: Einem Mann, der im Verdacht stand, der Polizei Informationen zu liefern, sollen Bluthunde der Drogenbosse die Zunge aus dem Mund geschnitten und an einen Baum genagelt haben. Als Empfehlung für alle, in Zukunft über die Geschäfte der Favela besser zu schweigen.

Jan Siebert kann sich vorstellen, dass sich solche Grausamkeiten zugetragen haben, in der Zeit, in der Vidigal als Hort des Bösen galt. Er selbst hat bei seinem Einzug noch erlebt, wie Jugendliche mit Pumpguns durch die Straßen zogen. 2011 war das, ein Jahr, bevor die Polizei einrückte in der 30.000 Einwohner zählenden Favela und dafür sorgte, dass Vidigal heute als befriedet gilt. Und nicht nur das: Aufgrund der exklusiven Lage ist die Wohngegend nun ein Boomviertel, in dem sich Bars und Clubs ebenso angesiedelt haben wie eine lebhafte Künstlerszene, zu der auch Siebert zählt.

Wenn an diesem Sonnabend in Rio die Olympischen Sommerspiele beginnen, dann wird der 44-Jährige einer derjenigen sein, die davon profitieren. Sein Bekanntheitsgrad ist so hoch, dass die ARD um Olympia-Frontmann Gerhard Delling ihn als Partner ausgewählt hat. Siebert hat exklusive Duplikate von 50 seiner Gemälde angefertigt, jeder ARD-Studiogast erhält ein solches als Geschenk. „Ich freue mich natürlich über eine solche Aufmerksamkeit“, sagt er. Im Rahmen der Übertragung der Eröffnungsfeier in der Nacht zu diesem Sonnabend wurde das Projekt im Ersten vorgestellt. Siebert, geboren in Hamburg und aufgewachsen in Trittau, hat sich an der einzigen Autostraße Vidigals ein Haus am Berghang eingerichtet, in dem sich sein Atelier befindet. In Öl auf Leinwand malt er bevorzugt Szenen, die in der Dunkelheit spielen. Als Nachtmensch haben ihn die dunklen Seiten insbesondere von Hafenstädten in ihren Bann gezogen. „Ich habe vor allem eine Faszination für inneres Leuchten“, sagt er, „bei meinen Bildern sind oft die Personen die wichtigsten Lichtquellen.“

Dass es einen wie ihn, der mit seiner drahtigen Figur noch immer aussieht wie der Karatekämpfer, der er in der Jugend war, in eines der fast 1000 Elendsviertel ziehen würde, die es in Rio gibt, verwundert kaum. Schließlich konnte er hier, abseits der Glitzerstrände, für die die Stadt weltberühmt ist, viele Inspirationen finden. Er por­trätierte Drogenbosse und ihre Klienten. Einmal wurde auf ihn geschossen, aber nicht von denen, die er malte, sondern von der Polizei, die den Pinsel in seiner Hand für eine Waffe hielt. „Die haben ohne Vorwarnung abgedrückt, aber zum Glück nicht getroffen.“

Schon 1996, als er, vom piefig wirkenden Studium der Gestaltungs- und Illustrationstechnik genervt, nach Mexiko auswanderte, war es das Milieu der Drogensüchtigen, Prostituierten und Arbeiter, das Siebert anzog. 2005 zog er nach Brasilien weiter, 2009 nach Rio. Geblieben ist der Hunger nach Dunkelheit, nach dem, was die Nacht und ihre Gestalten ihm bieten. Seit dem Jahr 2000 stellt er seine Werke regelmäßig in Hamburg und Rio aus. Am 7./8. Oktober wird er im Eiskeller der Lessers Passage in Hamburg eine Auswahl seiner Höhepunkte aus 20 Jahren Lateinamerika präsentieren, flankiert von einer Videoillustration, an der er seit Wochen fieberhaft arbeitet.