Hamburg. Schon die Beatles füllten einen Großteil ihrer frühen Alben mit Coverversionen von Rock-’n’-Roll-Standards, aber in den letzten Jahren grassiert das Plündern von fremdem Liedgut doch arg. Die verbliebenen Castingshows „Deutschland sucht den Superstar“ und „The Voice of Germany“ sind im Prinzip Karaoke-Sendungen, dazu lief gerade mit achtbarem Erfolg die dritte Staffel von „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ auf Vox.
Immerhin waren beim Tauschkonzert keine Castingblinden, sondern echte Könner von Xavier Naidoo geladen worden, mit viel Hamburger Lokalkolorit dazu. Nena, Samy Deluxe und Annett Louisan sowie The BossHoss, Wolfgang Niedecken und Seven interpretierten gegenseitig ihre Lieder. Ganz unterhaltsam, wenn nicht gerade The BossHoss Lieder wie „Leuchtturm“, „Superheld“ oder „Das Spiel“ brutal durch den Yeehaw-Wolf drehten.
Ihr Timing fürs neue Album: ausgebufft
Annett Louisan wirkte zwischen Alphamännchen wie Samy, Xavier oder Seven immer etwas verhuscht beim Tauschkonzert in Südafrika. Das kleine Flüstermäuschen sagte mal piep und klimperte mit den Augen. Aber wer auf diese Masche nach sechs Gold- und Platinalben seit 2004 noch hereinfällt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Annett hat es faustdick hinter den Ohren. Während der Dreharbeiten in Kapstadt und Arbeiten zum Nachfolger des Albums „Zu viel Information“ in Berlin ist die Louisan nämlich nach Prag gedüst und hat dort das – tataa! – Coveralbum „Berlin – Kapstadt – Prag“ aufgenommen. Veröffentlicht wurde es zum Staffelfinale, in dem Samy und Co. Annetts Lieder sangen. So ausgebufft! Da war sicher nicht Prosecco schuld.
Stilbrüche und ein versöhnliches Finale
Sei es drum, die Songauswahl von zehn zumeist deutschsprachigen Hits ist vielleicht die schrägste seit Heinos „Mit freundlichen Grüßen“ und macht die Platte wirklich interessant. Aus Rammsteins „Engel“ wird im gelungenen Arrangement von Louisan und Band eine teuflisch sinistre Ballade mit Chris-Isaak-Touch. Feiner Auftakt.
„Das Modell“ von Kraftwerk klingt so minimalistisch wie das Original, auch weil Louisan ohne Filter und Effekte knochentrocken ins Mikro haucht. Einige Lieder wirken allerdings doch sehr mit der Brechstange zurechtgebogen. Marterias „OMG!“ klingt hier – oh my god!“ – wie „Drive“ von R.E.M. und „Bologna“ ist ohne den Schmäh von Österreichs Hype-Band Wanda irgendwie verschenkte Liebesmüh. „Wie soll ein Mensch das ertragen“ hingegen dürfte auch Urheber Philipp Poisel zu Tränen rühren. Seufz.
Nach „Stark“ von Ich+Ich geht es dann ins Eingemachte: „Durch den Monsun“ von Tokyo Hotel, „Solang’ man Träume noch leben kann“ von Münchner Freiheit, „Merci Cherie“ (!) von Udo Jürgens und David Bowies „Heroes“ auf Deutsch sind hintereinander gehört Stilbruch auf Stilbruch, schlimm und schlimmer, mit „Helden“ als wirklich wunderschönes, versöhnliches Finale. Eine Platte wie ein Wechselbad, „unten rum manchmal richtig schön dreckig“, wie Louisan sagt. Ähem! Das war „Zu viel Information“.
Annett Louisan: „Berlin – Kapstadt – Prag“ Album (Sony Music) im Handel; Konzert: Fr 7.4.2017, 20.00, Mehr! Theater am Großmarkt, Karten ab 40,50 im Vorverkauf; www.annettlouisan.de
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