Hamburg-Premiere

"Schrotten": In diesem Film bleibt alles in der Familie

| Lesedauer: 6 Minuten
Karolin Jacquemain
Mirko (Lucas Gregorowicz) und Letscho (Frederick Lau) in einer Szene aus "Schrotten"

Mirko (Lucas Gregorowicz) und Letscho (Frederick Lau) in einer Szene aus "Schrotten"

Foto: Port Au Prince Pictures

Der Hamburger Regisseur Max Zähle und seine Frau Johanna Pfaff feiern heute große Hamburg-Premiere mit ihrem Kinofilm „Schrotten“.

Hamburg.  Ein Zugüberfall. Kniffelige Sache, so etwas. Als Verbrecherleistung als solche ohnehin. Aber auch im Film eine nicht zu unterschätzende Drehbuchwendung. Max Zähle und seiner Frau Johanna Pfaff, Dramaturgin und Regieassistentin, war es in drei Wochen Arbeitsurlaub an der sonnigen Küste Mallorcas nicht gelungen, eine plausible Szene für diesen filmischen Geniestreich auszuhecken. Erst am Flughafen, als das Paar die Wartezeit auf den verspäteten Rückflug nach Hamburg in einem Imbiss verbummelte, rutschten die Abläufe an die richtige Stelle. Auf einer fettigen Papierserviette entstand der räuberische Masterplan. Nur so viel darf verraten werden, ohne dem fertigen Film seine Spannung zu nehmen: Es läuft auf eine waghalsige Schienenverlegung inklusive Überrumpelungstaktik hinaus.

„Schrotten“ zeigt harte Kleinganoven mit butterweichen Herzen

Schon an dieser Stelle klingt die Entstehungsgeschichte von „Schrotten“ weit mehr nach Westernwildheit und Tarantinos Gangsterpopmärchen als nach weichgespülter Fernsehunterhaltung, wie man sie an jeder deutschen Bildschirmecke findet. Anders gefragt: Wann lief zuletzt ein deutscher Film im Kino, in dem die Männer Rambo heißen, die Frauen Lastwagen lenken, zum Frühstück Eier mit Maggiesoße verdrücken und ein Schrottplatz die Hauptrolle spielt?

Ganze vier Jahre hat Regisseur Max Zähle an „Schrotten“ gearbeitet – was selbst im oftmals trägen Filmgeschäft eine beachtliche Entstehungszeit ist. Aber Zähle, das gibt er denn auch leicht widerwillig zu, ist ein handwerklicher Perfektionist. Einer, der eher den Beruf wechseln würde als einen Film halbherzig herunterzukloppen. Für seinen ersten Langfilm ist er eingetaucht in die für Normalbürger bestenfalls aus Zeitungsmeldungen bekannte Welt der Schrotthändler. Er hat in seiner Heimatstadt Celle in einem vom Aussterben bedrohten Familienbetrieb recherchiert, bis er den Unterschied zwischen einer herkömmlichen Schrottpresse und einer altmodischen Schrottschere kannte. Er weiß um die miesen Geschäftsaussichten alteingesessener Schrotthändler, um ihre Sorgen und den alltäglichen Überlebenswahnsinn. Zähles Film ist auch eine Hommage an einen Berufszweig, den es so in einigen Jahrzehnten vermutlich nicht mehr geben wird. Ein leise wehmütiger Abgesang, der auch mitten ins Herz trifft, weil die Figuren so lebensprall gezeichnet sind. Harte Kleinganoven mit butterweichen Herzen.

„Schrotten“, der heute im Abaton seine Hamburg-Premiere feiert und am 5. Mai in den Kinos startet, ist ein Familienfilm im doppelten Sinn. Er erzählt von den Talhammers, einer Mehrgenerationensippe, die sich gegen den Verkauf ihres Betriebs an einen reichen Konkurrenten (und aalglatten Abzocker) wehrt. Er ist entstanden in erneuter Zusammenarbeit von Max Zähle und seiner Frau Johanna Pfaff, Tochter des großen, vor drei Jahren verstorbenen Schauspielers Dieter Pfaff. Treffpunkt für das Gespräch ist das familienintern so genannte „Café Dieter“, ein französisches Bistro in Eimsbüttel, in dem Dieter Pfaff einst das Anwaltsbüro seiner Serie „Der Dicke“ hatte. Wer Traditionen im Leben weitervererbt – und wenn es nur der Stammplatz für den Nachmittagskaffee ist –, der kann von diesen Dingen eben auch auf der Leinwand mitreißend erzählen.

„Schrotten“ ist bereits das zweite gemeinsame Projekt des filmversierten Paars Zähle-Pfaff (das seit drei Monaten von Söhnchen Emil komplettiert wird). Für das Vorgängerwerk, die anrührende Adoptionsgeschichte „Raju“, wurde Zähle mit dem Studenten-Oscar ausgezeichnet und für den Oscar als bester Kurzfilm nominiert. 2012 redete man in der Hamburger Filmbranche (und weit darüber hinaus) nur über „Raju“. Der Film war ein Erfolg und gleichzeitig ein Versprechen: auf einen nächsten, noch umwerfenderen Film. Max Zähle nahm es gelassen, ignorierte alle Erwartungen und schrieb unterdessen, zusammen mit Pfaff und Autor Oliver Keidel, das „Schrotten“-Drehbuch. „Wenn wir an einem Film arbeiten, nehmen wir ihn überall mit hin“, erzählt Pfaff. „Wir reden beim Abendessen über den Stoff und fangen morgens nach dem Aufwachen erneut damit an.“ Berufliches und Privates ist längst nicht mehr zu trennen.

Neben seiner wunderbar abseitigen Geschichte aus einem Parallelkosmos präsentiert „Schrotten“ eine Handvoll Schauspieler in Bestform. Da ist Frederick Lau („Victoria“) als aufbrausender Zampano Letscho, der die Fäden in den Schrottplatzbaracken zusammenhält und gern mit den Fäusten argumentiert (wahlweise auch mit seinem Lieblingszitat: „Lieber tot als Sklave“). Lucas Gregorowicz spielt dessen Bruder Mirko, der sich aufgemacht hat, als Versicherungskaufmann in einer Hamburger Filiale dem Heimatdreck zu entkommen. Nur schafft er es letztlich niemals überzeugend, seine Kunden übers Ohr zu hauen, während er ihnen Kaffee mit Milchschaumhäubchen aus dem Vollautomaten serviert. Die Hamburgerin Anna Bederke („Soul Kitchen“) schließlich gibt Luzi, die heimliche Clan-Managerin mit Jeanswestenuniform und breitbeinigem Cowgirl-Gang.

Wer eine solche Frauenfigur erschaffen kann, dem ist in jeder Hinsicht eine Menge zuzutrauen im ­Kino.

Vor Drehbeginn schickten Zähle und Pfaff ihren Schauspielern kleine „Schrotten“-Pakete nach Hause. Sie enthielten ein Glas Spreewaldgurken, Musikaufnahmen mit dem Soundtrack des Films, ein paar Dosen Jim-Beam-Cola und ein Rotwelsch-Lexikon. Zur Einstimmung. Zum Einfühlen in die testosterongesteuerte, liebeswert-verrückte Talhammer-Welt. „Wir wollten von Beginn an eine Familienatmosphäre schaffen, die sich auch auf den Film überträgt“, sagt Pfaff.

Das ist unbedingt gelungen. „Schrotten“ ist ein Film wie aus einem Guss. Er hat Herz, Rhythmus und eine charmante Portion Schmutz auf der Kameralinse. Die Musik ist weit entfernt von den zu erwartenden schrammeligen Rocksongs; die Lieder sind melancholiesatt und verleiten direkt zum Tanzen. Der Film von Max Zähle ist eine Schrotthändlerballade, die es mit der Realität nicht allzu genau nimmt und sich ganz auf ihre filmische Erzählkraft und die Magie der Bilder verlässt. Ein Märchen von einem, der auszog, um das Glück zu finden. Dabei lag es die ganze Zeit vor der Haustür.

Premiere „Schrotten“ mit Filmteam: Heute, 20.30 Uhr, Abaton-Kino, Karten (8 Euro) unter 41 320 320. Der Film startet am 5.5. regulär im Kino