Hamburg

Der Sound zur schönen neuen Welt

| Lesedauer: 5 Minuten
Birgit Reuther

Die Hamburger Band Der Ringer spielt mitreißende Popsongs. Am Sonnabend ist sie auf dem Hanse Song Festival in Stade zu erleben

Hamburg.  Der Pop feierte das Künstliche, das Unechte, die Weltflucht vor allem in den 80er-Jahren als großen tollen Budenzauber. Heutzutage suchen viele Pop-Acts das Ehrliche, Erdige, Authentische, als seien sie solide Rockbands mit „Früher war alles besser“-Attitüde. Das Digitale erscheint da als Bedrohung. „Noch 148 Mails checken“, singt Tim Bendzko, um nur noch kurz die Welt retten zu können.

Die junge Hamburger Band Der Ringer wiederum öffnet sich dem nicht mehr ganz so neuen Neuland Internet in Text und Sound ganz bewusst und lotet dessen poetische Seiten aus. Wie lebe ich im Schwarm? Sind wir online gar menschlicher, gefühliger? Mit ihrem „Soft Punk“, wie sie ihren Stil bezeichnen, erschaffen die Mittzwanziger eine traumwandlerische Lyrik jenseits von nostalgischer Verklärung. Eine Musik, die in die Zukunft weist. Und gerade deswegen zeitgemäß ist.

Zu erleben ist das an diesem Sonnabend beim Hanse-Song-Festival in Stade, wo das Quintett in bester Hamburger Gesellschaft mit Kollegen wie Jochen Distelmeyer, Joco, Lùisa, Pohlmann und Bernd Begemann auftreten wird. Ein musikalisches Stromern und Entdecken in historischer Kulisse zwischen Königsmarcksaal, Schwedenspeicher, altem Schlachthof, St.-Wilhadi-Kirche und Seminarturnhalle ist da zu erwarten. Das Alte trifft das Neue.

„Wir gehören nicht zu den Leuten, die Emotionen auf Polaroidbildern suchen“, sagt Gitarrist und Sänger Jakob Hersch. Und sein Bandkollege, Schlagzeuger Benito Pflüger, ergänzt: „Wenn ich ein Lied an mein Girl schreiben möchte, dann hole ich eben keine alten Liebesbriefe auf Papier heraus, sondern scrolle auf Facebook zurück. Das kann schön sein.“ Beide sitzen mit ihren Mitmusikern an einem Esstisch in Herschs WG im Hamburger Osten. „Der Ringer“, steht an der Klingel der Haustür, inspirierend gelegen zwischen Spielhalle und Abendkleid-Boutique.

„Da wollen wir auch unbedingt mal ein Video drehen“, sagt Hersch über das Schaufenster mit seinen glitzernden Roben. Zunächst aber haben sie einen Kurzfilm erschaffen, der das Lebensgefühl der allgegenwärtigen Vernetzung verdichtet. In dem Clip zum Song „Apparat“ begegnet sich ein Liebespaar im Ambiente eines Computerspiels. Jonas Schachtschneider setzt dazu mit dem Keyboard hell flirrende Impulse, als wolle er Datenströme vertonen. Sänger Jannik Schneider fügt seine dunkle Stimme ein, als wandele er melancholisch und sehnsuchtsvoll durch einen Kosmos aus Bytes und Pixeln. Und auch die Gitarre, traditionell Gerät des breitbeinigen Rock ’n’ Rolls, klingt mitunter eher wie ein futuristisches Keyboard.

Im ganz realen Konzert ist Der Ringer zwar eine Band, die die Kraft ihrer Instrumente zu entfesseln weiß. Doch auch die Interaktion mit dem Publikum gerät zum Spiel mit dem Artifiziellen, dem Theatralen. Neben Synthesizerklängen und elektronischen Samples sind es vor allem die mit einem Vocoder verzerrten Ansagen, die das Hier und Jetzt, den „Seid ihr alle da?“-Gestus aufzubrechen versuchen.

„Wir wollen die Leute geistig und emotional an andere Orte bringen“, erklärt Sänger Jannik Schneider über den Anspruch seiner Band, die durch Bassist David Schachtschneider komplettiert wird. Die Ursprünge der Gruppe gehen auf ein Schultheaterprojekt zurück. Seit acht Jahren existiert Der Ringer nun, seit knapp zwei Jahren spielt das Quintett in der aktuellen Besetzung. Und mit verstärkter Ambition.

Früher prägte die Gitarre, das Raue noch wesentlich stärker ihre Musik. Im Proberaum in Hammerbrook, ihrem Experimentierfeld, haben sie den Ringer-Sound dann nach und nach aufgeräumt, changieren gezielter zwischen laut und leise, wechseln Tempi und Atmosphären. Zum Songwriting trägt jeder bei. Es existiert kein Mastermind-Prinzip.

„Wir langweilen uns bei Texten, die die Welt eins zu eins abbilden. Das Gehirn funktioniert ja auch nicht so, sondern wie ein ­Stream“, sagt Schlagzeuger Benito Pflüger.

Wie stark sich die Band dem Assoziativen verschrieben hat, zeigt allein der Titel ihres neuen Mini-Albums: „Glücklich“. „Das ist ein Begriff, der überhaupt nicht in ist, das stachelt uns an“, sagt Schneider. Es gehe darum, dem Gefühl, auch dem Kitsch zu huldigen. Und darum, diese Emotionen den Smiley-Kategorien im Internet entgegenzustellen, wo sich mit einem Symbol-Klick Freude, Trauer und Liebe ausdrücken lassen. Dennoch ist sich der Ringer-Sänger sicher: „Ein Alter Ego im Netz kann eine Chance sein“. Es bleibt spannend, wie diese Zukunft aussieht. Und wie sie klingen wird.

Hanse Song Festival Sa 23.4., ab 16.30 Uhr,
Anfahrt mit der S-Bahn bis Stade, Tickets zu 35 Euro zzgl. Geb. im Vvk.; hansesongfestival.de