Tour 2015

Bob Dylan zeigt in Hamburg seine neue Geschmeidigkeit

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Christoph Rybarczyk
Neverending Tour: Bob Dylan Bob Dylan spielt fast nur noch Piano und Mundharmonika, kaum noch Gitarre (Archivbild)

Neverending Tour: Bob Dylan Bob Dylan spielt fast nur noch Piano und Mundharmonika, kaum noch Gitarre (Archivbild)

Foto: Domenech Castello

Der Altmeister des Folk-Rock setzt vor allem auf Balladen im Stile Frank Sinatras. Bob Dylans Neverending Tour wird zur Puderzucker-Show.

Hamburg. In der unglaublichen Karriere des Robert Allen Zimmermann aus Hibbing, Minnesota gibt es den einen Judas-Moment. Ein Fan brüllte 1966 während einer Songpause beim Konzert in Manchester Richtung Zimmermann, Künstlername Bob Dylan: „Judas!“ Zur Erinnerung: Das war der, der Jesus verraten haben soll. Der junge und vor seinem Motorradunfall rebellische Bob Dylan (Achtung! Tiefe Bedeutung!) entgegnete, er glaube dem Zwischenrufer nicht, dieser sei ein Lügner. Warum regte der Fan sich auf? Folksänger Dylan wurde elektrisch, rockte, was die Verstärker hergaben. Das passte nicht in die Lagerfeuer-Schrummel-Gitarren-Erwartung Mitte der Sechziger. Der Vorfall ist auf CD dokumentiert. Dylan drehte sich um zu seiner Band, zu The Band, und sagte für alle hörbar: „Play it fucking loud!“

Bei Bob Dylans Hamburger Auftritt in der Sporthalle hätte man sich einen Fan gewünscht, der hereingerufen hätte: „Play it fucking loud, Bob.“ Aber bei Bob Dylan gibt’s kein Wunschkonzert. Es wird gehört, was auf die Bühne kommt. Und das war eine Mischung aus wenigen Klassikern, viel Neuem und erheblich Schmalz in seinen Interpretationen minder bekannter Lieder von Frank Sinatra. Das war für viele zu seicht.

Doch dieser Bob Dylan ist auch mit 74 Jahren im 77. Konzert dieses Jahres auf seiner 27 Jahre währenden Neverending Tour nicht zu fassen. Da prügelt er wie üblich „Things have changed“ als Opener herunter. Dutzende Bands wären froh, wenn sie einen Song dieser Klasse hätten. Und dann wird es peu à peu balladig, schnulzig mit wenigen bluesigen Einwürfen.

"What'll I do" oder "I'm a fool to want you" führen den Altmeister auf eine Puderzucker-Tour, die allerdings eine Überraschung birgt: Dylan singt wunderbar, er trägt den Sound, die Band, den ganzen beschaulichen Abend. Das Schlagfell wird nur mit dem Besen bearbeitet, die Steel Guitar schluchzt, Dylan gibt den sanften Crooner.

Bob Dylans Setlist und weitere Infos finden Sie hier

Der Laie staunt, der Fachmann schüttelt den Kopf oder weiß als Dylanologe immer mehr. Denn welche tiefe Bedeutung hat nun diese Reinkarnation von Sinatra? Im Laufe seiner 50 plus Karrierejahre hat sich der Spross einer jüdischen Einwandererfamilie von allem Religiösen losgesagt, dann mal den erwachten Christen gegeben, die Gefahren für den jüdischen Staat Israel gebrandmarkt, vor Papst Johannes Paul II. gesungen („Knocking on heaven's door“), in der US-Militärakademie West Point, in China und im Weißen Haus.

Was ist nun ein Bekenntnis für Frieden und Freiheit? Was nicht? Das haben bislang nicht mal die Intellektuellen herausgefunden, die auf der Suche nach des Meisters Intention in Dylans Müll wühlten und nur feststellen konnten: Der Mann trennt nicht.

Im Weißen Haus geht bald der erste schwarze Präsident in Rente. Barack Obama hatte Dylan die höchste Auszeichnung überhaupt verliehen, die Medal of Freedom. Dylan hat sie kommen und gehen sehen: die Hardliner Nixon und Reagan, den feschen Clinton, die Bushs. Als er rebellisch und zornig und ein blutjunger Welthit-Produzent mit Klampfe war, hieß der Mann im Oval Office John F. Kennedy. Die Zeiten ändern sich („The times they are a-changing“).

Anders als zuletzt in Hamburg, als er im CCH seine Songs herunterkeuchte, ist der 2015er Dylan ein sensiblerer Konzeptsänger geworden. Das Rauhe, Rostige in Sound und Stimme tritt in den Hintergrund. Die neue Geschmeidigkeit ist eine Reverenz an die fünfziger, frühen sechziger Jahre in den USA, die Vor-Dylan-Ära. Mit Radiohits, Blues und Folk ist Dylan großgeworden, er mischt einfach mal wieder neu.

Nach 90 Minuten Harmonie und Säuselei und einem dahingeflöteten „Blowin' in the wind“ packt die Band doch noch die krachenden Gitarren aus. „Love sick“ heißt der Rauswerfer. Von Liebe, singt Dylan, hat er die Schnauze voll.

Barack Obama verleiht Bob Dylan die Freiheitsmedaille