Roman „Cocktails“

Die Sehnsucht und der Schmerz der Jugend

| Lesedauer: 5 Minuten
Armgard Seegers
Pamela Moore war
erst 18 Jahre alt,
als sie 1955 ihren
Roman schrieb.
Wenige Jahre
später nahm sie
sich das Leben

Pamela Moore war erst 18 Jahre alt, als sie 1955 ihren Roman schrieb. Wenige Jahre später nahm sie sich das Leben

Foto: Peter Basch

Pamela Moore war ihrer Zeit weit voraus. Es ist unglaublich, was die 18-Jährige schon vom Leben wusste.

Pamela Moore war erst 18 Jahre alt, als sie einen Weltbestseller schrieb. 1956 erschienen, stand „Cocktails“ ein Jahr später monatelang auf der Bestsellerliste in den USA. Eine Million Mal hat sich der Roman dort verkauft, 450.000 Mal in Italien. In Frankreich und vielen anderen Ländern gehörte das Buch ebenfalls geraume Zeit zu den meistgelesenen. Bei uns war es so gut wie vergessen.

Es ist nicht nur unglaublich, was die 18-Jährige schon vom Leben wusste. Es ist mindestens so unglaublich, wie facettenreich und klar sie die Geschichte geschrieben hat, in der es um junge, scheinbar verwöhnte Mädchen geht, ohne Platz im Leben, um teure, leere Wohnungen in New York, abgehalfterte Hollywoodstars, vernachlässigte Kinder, Alkohol, Lieblosigkeit, Familientragödien, falsche Freundschaften und so vieles mehr, das heute nicht anders aussieht und noch genauso gültig ist wie damals. Das wirklich Unfassbare ist, dass dieser nun bald 60 Jahre alte Roman nichts, aber auch gar nichts an Aktualität verloren hat. Im Gegenteil, man wundert sich, wie eine junge Schriftstellerin damals schon so hellsichtig erkennen und geistreich beschreiben konnte, dass wohl die Leere und Sehnsucht im Leben junger Menschen, ihr Versuch, Weltgewandtheit vorzuspielen, wo Angst und Zynismus herrschen, ewig gleich bleiben.

Nur acht Jahre nach der Veröffentlichung ihres Romans „Cocktails“ nahm sich Pamela Moore das Leben. Mag sein, dass man nicht unbedingt zu einem Buch greifen will, das eine sehr junge Schriftstellerin in einer lange vergangenen Zeit geschrieben hat. Zumal ihr scharfer Blick auf die Gesellschaft nicht gerade optimistisch gewesen ist. Doch es lohnt sich. Dieses Buch ist berauschend, liest sich leicht, ist frisch, aktuell und häufig urkomisch. Nun bringt es der Piper Verlag wieder neu heraus.

Courtney ist 15, lebt in einem Internat, in dem sie wenig Kontakt zu anderen hat, denn sie ist nicht nur eine erstklassige Schülerin. Sie entstammt auch nicht derselben großbürgerlichen Schicht wie die Mitschülerinnen. Mit ihrer Zimmergenossin Janet Parker vertrödelt sie die Zeit und zankt sich darüber, ob Courtneys Beziehung zur Englischlehrerin Miss Rosen etwas Anzügliches hat.

Die Mädchen sind aus den Ferien zurück. Courtney allerdings war alleine in der Schule geblieben, da ihre geschiedenen Eltern – der Vater, ein Verleger, war auf irgendeiner Insel im Urlaub, die Mutter, eine nicht mehr gefragte Schauspielerin, kämpfte in Hollywood um eine neue Rolle – glaubten, der jeweils andere würde sich um Courtney kümmern.

Mit dieser Exposition haben wir bereits die Themen des Romans vorgegeben: Familienzerrüttung bis zur Verwahrlosung, egozentrische Eltern, halbwüchsige Kinder, die sich langweilen, die in oberflächliche Liebschaften, Alkohol und allerlei sinnfreie Zeitvertreibe flüchten. Pamela Moore hat sich da wohl auch bei ihrer eigenen Familie bedient. Ihre Mutter Isabel Moore war eine Filmschauspielerin, deren beste Zeit vorüber war.

Courtney jedenfalls verlässt die Schule, zieht nach Hollywood zu ihrer Mutter, die ihre Tochter schon morgens als Kumpel beim Cocktailtrinken braucht. Courtney, kaum 16, verbringt ihre Tage am Pool, mit drittklassigen, arbeitslosen Künstlern, die von großen Rollen träumen, bei sinnlosen Trinkritualen und inmitten lüsterner Männer im Bungalowhotel „Garden of Allah“, wo auch Scott Fitzgerald eine Zeit lang wohnte. Courtney führt ihre erste erotische Beziehung mit einem bisexuellen Schauspieler, der ihr nach ihrer „ersten Nacht“ nicht mal ein Frühstück spendiert. Er ist blank. Ihr nächster Partner ist ein dekadenter europäischer Aristokrat, der in einem Luxushotel lebt. Aber da ist sie schon wieder nach New York zurückgekehrt. Mit ihrer Mutter, die es nun tage- und nächtelang bei Fernsehserien versuchen will.

Courtney findet Anschluss bei ihrer ehemaligen Zimmergenossin Pamela, einem steinreichen, aber vernachlässigten Mädchen, das seine Zeit auf Partys, in Gesellschaft dubioser Schmarotzer, mit Sex, Drugs und Alkohol verbringt. So als seien schon die Zeiten des legendären „Studio 54“ ausgebrochen. Aber die kamen erst 20 Jahre später, in den 70ern.

Moore war eben ihrer Zeit weit voraus. 1964, bei einer Neuausgabe des Romans, hieß es, das Buch sei „schockierend offen“. Heute schockt das niemanden. Aber es verblüfft, dass es früher auch nicht anders zuging.

Immer mal wieder kommt jemand ins Sanatorium. Man lebt auf großem Fuß, auch wenn man es sich eigentlich nicht leisten kann. Einmal heißt es: „Courtney war wie ihre Mutter. Selbst wenn sie zu ertrinken drohte, würde sie ihre Retter noch mit einem letzten trotzigen Winken wegschicken, weil es nur Fischer in einem Ruderboot waren und sie von einer Jacht gerettet werden wollte.“

Der Roman, den man sich heute gut als Vorlage für eine Fernsehserie vorstellen könnte, wurde bei seinem Erscheinen vehement von Magazinen abgelehnt, denen er zum Abdruck angeboten worden war. „Die Heldin wird für ihren eigenwilligen Lebensstil nicht hinreichend bestraft“, lautete damals eine Begründung. „Eigenwillig“ bedeutet wohl „ausschweifend“, etwas, das eine Frau in den 50er-Jahren unmöglich leben durfte. Autorin Pamela Moore hat diesen Widerspruch nicht ertragen. Und manch eine ihrer Heldinnen auch nicht.