Hamburg. Wann immer man in den frühen 70er-Jahren eine ZDF-Unterhaltungsshow einschaltete, während Mutti noch schnell den Käseigel spickte – der Greger Max war schon da. Riesen-Fliege, pechschwarze Belmondo-Tolle zum Profi-Lächeln, das Tenorsaxofon im Anschlag, stand er in einer dieser ballsaalpastellfarbenen Showtreppen-Kulissen vor seiner öffentlich-rechtlichen Unterhaltungskapelle und wartete darauf, ziemlich unbundesrepublikanisch losswingen zu dürfen.
Die Studentenrevolten waren dann Lichtjahre entfernt, die Welt war wieder in Ordnung, wenn Greger diese Swing-Klassiker rausholte. Aber genauso, wenn er Schlager vergregerte, indem er sie dick verzuckerte, oder aus importierten Radio-Erfolgen moralisch unbedenkliches Foxtrot-Material machte. „Aktuelle Hits im strikten Tanzrhythmus“ stand auf seiner LP „Tanz ’75“. So gründlich war man damals beim ausgelassen Lustigsein. Jazz war damals noch Pop. Greger war damals, mit ganz anderer Vielseitigkeit als James Last, Bert Kaempfert, Hugo Strasser oder gar Peter Herbolzheimer, ein grundsolider Qualitätsarbeiter im Jazzclub des Herrn, der generös alles verzieh, was unschuldigen Spaß macht.
Allmählich jedoch wird es eng in der Retro-Partykeller-Ecke des Himmels. Paulchen Kuhn hat das Bier für Hawaii kaltgestellt. Blacky Fuchsberger sitzt verschmitzt lächelnd am Münchner-Kindl-Stammtisch und erzählt im Plauderton, wie entspannt es früher war im Isar-Paradies. Udo Jürgens übernimmt die Blondinenbetreuung am Tresen. Und nun also nach der hanseatischen Lässigkeits-Legende James Last auch noch „Mäx from Munich“. So wurde Greger von seinem Bandleader-Idol Count Basie genannt, der nun wirklich beurteilen konnte, wenn ihm jemand auf Augenhöhe begegnete.
Denn Greger war kein Blender, der darauf hoffte, nicht erwischt zu werden. Der Metzgersohn aus dem Münchner Arbeiterstadtteil Giesing, der vom Akkordeon zu Klarinette und Saxofon wechselte, war einer der wenigen ersten Deutschen, die in der beginnenden Nachkriegszeit als blutjunger, synkopenhungriger Jazzmusiker auf die Bühnen der GI-Casinos gelassen wurden. „Wenn du keine Show gemacht hast, konntest du einpacken“, erinnerte er sich rechtschaffen stolz an diese Zeit.
Dass Gregers erstes eigenes Sextett, 1948 gegründet, abends fürs Renommee jammte und tagsüber im Programm des Bayerischen Rundfunks fürs Konto Volksmusikalisches lieferte, hat Greger weder gestört noch voneinander getrennt. Es wurde gespielt, was aufs Pult kam. Konnte ja auch längst nicht jeder. 1953 räumte er mit einer All-Star-Band beim Deutschen Jazzfestival in Frankfurt ab. Sechs Jahre später war es Gregers Jazz-Orchester, das als musikalischer Botschafter zu einer 36-tägigen Tournee durch die Sowjetunion aufbrach, um als erste West-Combo mit Blue Notes statt Marschmusik zu demonstrieren, wie sehr sich die Zeiten und mit ihnen die Deutschen geändert hatten. Greger spielte für Ella Fitzgerald und stand neben Louis Armstrong im Rampenlicht. Mehr Himmel auf Erden ging nicht für einen wie ihn.
Seinen nachhaltigsten Erfolg hatte Greger 1963 mit einer Portion Musik, die gerade mal 23 Sekunden kurz ist: „Up To Date“, die Titelmelodie vom „Aktuellen Sportstudio“. Astrein abgeliefert, dieses Intro. Die Bläser auf den Punkt, der Drummer erst recht. Wer es nicht besser weiß, könnte es beim Blindhören für irgendetwas Feines aus den riesigen Beständen von Basie, Stan Kenton oder Duke Ellington halten. Dieser Opener gehört zur DNA des ZDF wie die Mainzelmännchen auf den Lerchenberg, sie ist für Westdeutschland ein Stückchen Weltkulturerbe. Seinen Job beim ZDF hatte Greger bekommen, als er sich gerade vom ewigen Touren in einem Sanatorium erholte.
Gregers charakteristischer Tenor-Sound, der sich tief vor Coleman Hawkins verbeugte, war weit vom Aufbruch in andere Stil-Sphären entfernt. Er spielte oft in etwa so, wie der Backfisch-Liebling Peter Kraus schwofte, ließ es bei „Night Train“ oder „Tequila“ satt röhren und scharwenzelte in den Balladen um die Melodien herum. Doch mit allem, was Saxofonisten ab den späteren 60ern an Neuerungen wagten, hatte Greger nichts im Sinn. Warum auch? Er blieb sich treu und hatte seine Kundschaft. Sollten die anderen sich doch ruhig neu erfinden, er machte lieber weiter Späßchen bei seinen „Pack ma’s, keep swinging!“-Ansagen. Greger räumte bei Jazz-Konzerten ebenso ab wie in den Zelten auf dem Oktoberfest und brachte eine Partykeller-Platte nach der anderen raus. Insgesamt sollen es um die 150 gewesen sein.
In seinen jüngeren späten Jahren hat Greger mit Paul Kuhn und Hugo Strasser noch eine rührend altersweise Bühnen-WG gegründet. Als „Swing-Legenden“ und „älteste Boygroup der Welt“ gaben sie das Ü-75-Rat-Pack für die Generation Peter Frankenfeld. Gemeinsam waren die drei nicht immer rüstigen Herren, die mitunter wechselweise Krankmeldungen schickten, bald so um die 250 Jahre alt. Doch „die drei swingenden alten Deppen“ (Strasser) waren genau deswegen so authentisch und zeitlos cool.
Am Sonnabend ist Max Greger in München gestorben, 89 Jahre jung.
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