Schwerin. Irgendwann, als der Fotograf mit dem Auto in der jungen Bundesrepublik unterwegs war, stand Renate als Tramperin zufällig am Straßenrand. Eddy Novarro hielt seinen Wagen an und nahm sie mit – nicht nur auf die Fahrt über die Bundesautobahnen, sondern auch noch auf die gemeinsame Lebensreise durch die Kunstszene der Nachkriegszeit. Aus Renate wurde Nana, die selbst als Künstlerin galt, auch wenn keines ihrer Werke heute bekannt ist. Ohne Zweifel war sie aber eine außerordentlich schöne und faszinierende Frau, die viele bedeutende Künstler für sich einzunehmen verstand.
Nicht zuletzt davon kündet eine Ausstellung mit Eddy Novarros privater Kunstsammlung, die das Staatliche Museum Schwerin zurzeit unter dem Titel „Kaleidoskop der Moderne“ zeigt. Zu sehen sind Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen bedeutender Künstler von der Klassischen Moderne bis zur Pop Art, vom Surrealismus bis zum Informel.
Für die Auswahl waren dennoch weniger kunsthistorische Kriterien ausschlaggebend, die Sammlung entstand vielmehr auf der Grundlage zahlreicher persönlicher Begegnungen. Ausgangspunkt dafür war Novarros Tätigkeit als Fotograf.
Der gebürtige Rumäne, der schon früh nach Brasilien emigriert war, hatte sich mit Porträtaufnahmen bald einen Namen gemacht. Er fotografierte Politiker, Diplomaten, Schriftsteller, Schauspieler, vor allem aber bildende Künstler. Obwohl seine Porträts, wie die Ausstellung recht deutlich zeigt, keineswegs schmeichelhaft wirken, wurden sie aufgrund ihrer merkwürdigen Intensität außerordentlich geschätzt. Novarro bevorzugte extreme Nahaufnahmen, die oft wie Charakterstudien wirken, was ihm den Spitznamen „Sigmund Freud der Fotografie“ eintrug. Wirklich bekannt geworden ist Navarro als Fotograf international zwar nicht, aber innerhalb der Kunstszene besaß er einen vorzüglichen Ruf.
Um die eigene Kunst-Sammelleidenschaft befriedigen zu können, kam er schon bald auf das folgende „Geschäftsmodell“: Nachdem er Künstler, für die er sich interessierte, mit großem Aufwand porträtiert hatte, bat er gewissermaßen als Gegenleistung um eines ihrer Werke. Das konnten schnell hingeworfene Gelegenheitsarbeiten sein, aber auch bedeutende Werke, die schon zuvor entstanden waren. Der persönliche Bezug wird durch die Widmungen deutlich, die immer auf die Begegnung verweisen, mitunter freilich ein wenig an eine Trophäensammlung erinnern. Chagall, Picasso, Miró, Dalì, Mark Rothko, Man Ray und Willem de Kooning oder auch Deutsche wie Oskar Kokoschka, Joseph Beuys und Hannah Höch, sie alle haben Novarro und seine Frau und Muse Nana getroffen. Und stets einigte man sich auf das Muster Foto gegen Kunstwerk. Dass dies für beide Seiten ein durchaus lohnendes Geschäft war, zeigt die Ausstellung anhand zahlreicher Beispiele. So reiste das Paar mehrfach nach Frankreich, um Picasso zu treffen. Einmal überredete der Fotograf den Jahrhundertkünstler dazu, den Federschmuck eines Indianerhäuptlings aufzusetzen. Das entstandene Porträt gehört gewiss zu den originellsten Picasso-Fotos, zumal der Maler sich in der ihm zugedachten Würde sichtlich wohlzufühlen schien. Picasso zeigte sich gleich mit mehreren Stier-Zeichnungen erkenntlich.
Andere waren knauseriger, so hielt etwa Marcel Duchamp eine handschriftliche Widmung für völlig ausreichend. Aber selbst die schnell entstandenen Zeichnungen oder Skizzen sind meist originell und beziehen sich auf die persönliche Begegnung. Und immer wieder wird dabei auch Nana ausdrücklich gewürdigt. Viele der Blätter ließ Novarro von dem berühmten katalanischen Buchbinder Emilio Brugalla in zwei Prachtbände mit dem Titel „Carnet d’Or“ binden, als Zeugnis von Freundschaften, die sich freilich manchmal auf eine einzige Begegnung beschränkt haben mögen.
Gleichwohl sind die beiden mit Kunstwerken angefüllten Prachtbände, deren Seiten aus konservatorischen Gründen nur auf einem Video umgeblättert werden können, tatsächlich das, was der Titel der Schau verspricht: ein Kaleidoskop, das die erstaunliche Vielfalt verschiedenartiger Stile, Temperamente und Spielarten der Nachkriegsmoderne in Europa und Amerika zeigt. Manches an Eddy Novarros Biografie liegt bis heute im Dunkel, so ist etwa sein Geburtsjahr nicht bekannt. Er starb 2003; kurz zuvor hatte er seine Sammlung verkauft. Nach Schwerin kam sie als Leihgabe des deutschen Industriemanagers Gerhard Cromme.
Kaleidoskop der Moderne. Chagall, Miró, Picasso und die Avantgarde. Staatliches Museum Schwerin. Mit dem Auto über die A 24, mit dem IC oder ICE ab 19 Euro. Alter Garten 3, 19055 Schwerin, bis 18.10., Di–So 10.00–18.00, Tickets 5,-/ erm. 3 Euro.
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