Hamburg

Dicke Bretter bohren auf Kampnagel

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Annette Stiekele

Die Hamburger Künstlergruppe Baltic Raw hinterfragt beim Internationalen Sommerfestival in „Wow!Tecture“ den Sinn weltweiter gigantomanischer Architektur

Hamburg. Zwischen hohen Büschen hinter den Kampnagelhallen ragen stolz vier aus groben Brettern montierte Gebäude empor. Dicht stehen sie auf engstem Raum, als würden sie sich gegenseitig anschauen. Berndt Jasper sitzt entspannt in der Mitte und begutachtet eine der Arbeiten, die anhand der wilden Dachkonstruktion als die Walt Disney Concert Hall (2002) aus Los Angeles des Stararchitekten Frank Gehry zu erkennen ist.

Ein Symbol von „Wow!Tecture“, also Architektur, die gigantomanisch gedacht ist und ein Wetteifern der Städte mit derlei Trophäen befeuert. Ihr Sinn und Nutzen wird von Jasper und seinen drei Künstlerkollegen Móka Farkas, dem Architekten Christoph Janiesch und Steen Carlsen, bekannt als Kollektiv Baltic Raw, einfach aber wirkungsvoll hinterfragt. Zum dritten Mal bespielt die Hamburger Gruppe den Festival Avant-Garten beim Internationalen Sommerfestival mit ihren rohen Spanplatten-Charme-Bauten. Schön im eigentlichen Sinne sind sie nicht. Und doch werden sie regelmäßig mit Begeisterung in Beschlag genommen. „Es geht uns darum, zu beschreiben, wie man mit Raum alternativ umgehen kann“, erklärt Jasper. „Unsere Arbeiten sind immer temporär. Wir können mit unserer Bausprache schnell auf aktuelle gesellschaftliche Situationen reagieren, eine unmittelbare Wirkung erzeugen. Lösungen liefert unsere Kunst nicht, aber sie stößt Diskurse an.“

Debatten wie beim vergangenen Festival jene über den Umgang mit Flüchtlingen, die in der „EcoFAVELA“ eine vorläufige Bleibe fanden und diesmal im „Welcome Center“ vertreten sind. Gehry sei ja als Architekt eigentlich ganz okay, findet Jasper. Er stehe für einfache, wiederverwertbare Materialen. „Aber mit seiner Hilfe wollen Städte auch eine Marke setzen, neoliberal Wertschöpfung erzeugen und das ganz entkoppelt von den sozialen, gewachsenen Strukturen vor Ort.“ Dabei gebe es eben immer auch Verlierer.

Auf die Schwächeren im Kontext der Bausprache der Macht verweisen Baltic Raw stets mit ihrer Arbeit. Ob mit dem Viewpoint der HafenCity, einem steilen Turm ohne Aussicht. Oder mit einem breiten Bau samt glänzender Fassade, dem Pressezentrum der Europäischen Zentralbank in Frankfurt, Symbol des Finanzkapitalismus. Und dann steht da noch ein verrücktes Gebäude, das halb fertig wirkt. The Burj Khalifa aus Dubai mit himmelwärts strebenden Holzpfeilern. Eine Parodie auf den Hoch-hinaus-Wahn, wie er sich vielfach in arabischen Metropolen findet. Die Stehlen protestieren gegen die ständig auf Wachstum ausgerichtete Gesellschaft.

Seit der Jahrtausendwende gibt es Baltic Raw. „Es geht um ein Abbilden von Wirklichkeiten, aber auch ums Hinterfragen von Situationen. Da spielt immer auch Aktionskunst hinein.“ Sperrholz hat sich als Grundstoff bewährt. Es widersteht jedem Wetter und wird mehrfach verwendet. Einmal war Beton als Baustoff im Gespräch. Ausdruck eines geheimen Wunsches nach Verewigung innerhalb der Gruppe. Es blieb dann beim Holz. Das ist auch gut so, denn längst ist auch Baltic Raw eine Marke geworden. Für Kunst, die eher nicht fürs Museum taugt, aber dicke Bretter bohrt.

( asti )