Hamburg. Keine Plüschtiere, keine Blumen, keine Damenwäsche, rein gar nichts flog auf die Bühne am Ende des Konzerts von David Garrett und seinem Klavierbegleiter Julien Quentin am Dienstag in der Laeiszhalle. Die Herzen aber, die flogen ihm nur so zu, diesem kerlig androgyn wirkenden Geiger, dessen blondiertes, zu einem Pferdeschwanz gebändigtes Haar farblich bestens mit dem goldbemalten Stuck des Saals harmonierte. Mit seinem Klassik-Cross-over-Zeug und bombastischem Showzauber füllt Garrett sonst spielend weltweit die Arenen. Derzeit aber gibt er sich einer bescheideneren, viel gefährlicheren Passion hin: David Garrett ist mit den drei Brahms-Violinsonaten auf Tournee.
Den Teleprompter auf dem Bühnenboden braucht er nicht für die Noten, sondern als Gedächtnisstütze für seine extrem niedrigschwellige Moderation: „Wer hat denn hier schon mal etwas von Brahms gehört?“ Und das in Hamburg. Die Tonarten, die Garrett ansagt, spielt Quentin kurz auf dem Flügel an. Was Garrett über die Musik erzählt, schürft nicht eben tief, öffnet aber manchen Totalnovizen vielleicht ein Türchen zu besserem Verstehen. Von denen scheinen indes nicht allzu viel im Saal zu sein. Das Garrett-Publikum ist überraschend Laeiszhallen-kompatibel, ohnmachtsbereite Blondchen sind eindeutig in der Unterzahl.
Doch wenn Garrett, schwarzes Sakko überm schwarzen Hemd, die dunkle Jeans in ein Paar Rattenfängerstiefel gestopft, zu spielen beginnt, dann ereignet sich etwas Erstaunliches, Dann legt sich auf sein Gesicht ein Ausdruck des Glücks und der genießerischen Daseinsfreude, wie man ihn bei ausübenden Musikern selten erlebt. Garrett wirkt nicht entrückt, sondern dankbar. Man spürt, dass er und seine Geige wirklich ein Herz und eine Seele sind.
Denn geigerisch ist David Garrett absolut auf der Höhe. Seine Intonation ist perfekt, sein Timing untrüglich. Sein Bogen gehorcht ihm, als sei er damit auf die Welt gekommen. Klar, den Sonaten A-Dur und d-Moll, die er in der ersten Hälfte spielte, hätte ein weniger druckvolles Forte zum Vorteil gereicht. Aber Garrett spielt die Musik genau so, wie er sie fühlt. Ohne dem Notentext Tort anzutun, macht er Brahms durch seine Artikulation wiederholt zum Ahnherrn einer fiktiven Prä-Rock-Ära.
Bei der „Regenliedsonate“ nähert Garrett sich klassischem Kammermusizieren mehr an, weil er flexibler umschaltet zwischen Schwelgen und Intimität. Da glückt ihm wiederholt das Eintauchen in die versprochene Tiefe des Ausdrucks, in die Mitteilsamkeit jeder einzelnen Note. Und nur hier scheint es auch ihn einen klitzekleinen Moment lang zu nerven, dass seine Fans mit ihrem Beifall nach jedem Satz den unsichtbaren Faden zerreißen, der die Kapitel miteinander verbindet.
Dass er auch kann, was einem im Brahms-Programm fehlte – Schönheit des Pizzicatos, ausmusizierte Triller –, zeigte Garrett in drei Zugaben .
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