Viele führende Köpfe der Opposition gehörten zu den Hörern des systemkritischen Seminars “Anthropologisches Colloquium“.

Was hat Anthropologie des 17. Jahrhunderts mit dem Ungeist der Nazi-Zeit zu tun? Für die Teilnehmer des Anthropologischen Colloquiums, das der Hamburger Philosophie- und Pädagogikprofessor Wilhelm Flitner 1943 hielt, bestand kein Zweifel an der Aktualität des gebotenen Stoffs: Wenn Flitner den Machiavellismus kritisierte, wusste jeder, dass der Nationalsozialismus gemeint war. Viele führende Köpfe der Opposition gehörten zu den Hörern des Seminars, in dem zum Beispiel Reinhold Meyer ein Referat über Herders Humanismus hielt. Albert Suhr beschrieb die Atmosphäre des Colloquiums folgendermaßen: "Flitner gelang es, entgegen der militaristischen Verrohung und dem nationalsozialistischen Ungeist, viele seiner Studenten mit der wirklich nationalen und freiheitlichen Tradition, mit den echten nationalen Werten unseres Volkes zum ersten Mal bekannt zu machen." Wohl aufgrund der Feinsinnigkeit seiner Regimekritik und auch weil keiner seiner Hörer ihn denunzierte, konnte Flitner der Verhaftung entgehen.

Albert Suhr (1920-1996)

Der Sohn eines Kaufmanns unterhielt Kontakte zu mehreren oppositionellen Zirkeln und Gruppen der Hansestadt, kaufte bei Felix Jud verbotene Bücher und gab Flugblätter weiter. Von dem Gestapo-Agenten Maurice Sachs denunziert, wurde Suhr am 13. September 1943 verhaftet. Vier Monate blieb er in Einzelhaft, später teilte er eine Zelle mit Sachs, ohne von dessen Verrat zu wissen. Noch bevor das Verfahren vor dem Volksgerichtshof abgeschlossen werden konnte, befreiten ihn amerikanische Soldaten aus dem Gefängnis in Stendal. Nach 1945 publizierte Albert Suhr über den Widerstand. Er studierte Medizin und praktizierte als Arzt in Hamburg.

Karl Ludwig Schneider (1919-1981)

Als Germanistikstudent fand Schneider Kontakt zu Heinz Kucharski und dessen Kreis sowie zum Anthropologischen Colloquium von Prof. Flitner und zur Familie Leipelt in Wilhelmsburg. Schneider gab das dritte Flugblatt der Weißen Rose in einem Hörsaal weiter. Am 20. November 1943 wurde er verhaftet. Die Gestapo sah in ihm einen "Haupttäter". Von den Amerikanern in Stendal befreit, kehrte Schneider in seine Heimatstadt zurück, wo er sein Studium fortsetzte. Er gründete die "Hamburger Akademische Rundschau" und wurde später Ordinarius für Deutsche Philologie und Literaturwissenschaft an der Hamburger Universität.