Der 71-jährige Hamburger ist bekannt als “der Beatles-Fotograf“. Er erfand die Pilzfrisur. Der Rebell von einst ist heute ein Einzelgänger.

Hamburg. Jürgen Vollmer besitzt keine Beatles-Platte. Er war nie Fan der berühmtesten Band der Welt. In seiner Wohnung in Barmbek steht eine kleine Stereoanlage, er hört dort gerne Klassik und Peter Fox, die CD hat er geschenkt bekommen. Vollmer, der 71-jährige Hamburger, ist bekannt als "der Beatles-Fotograf". Als die Liverpooler nach Hamburg kamen, fotografierte der junge Vollmer die Popgruppe bei ihren sagenumwobenen Auftritten auf der Reeperbahn. Er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Ein Rebell, der Rebellen fotografierte und die Geburtsstunde des Pop mit seiner Kamera erwischte. Der Mann, der den Haarschnitt der Beatles erfand, die Pilzfrisur. Vollmer kämmte sich die Haare seit Mitte der Fünfzigerjahre in die Stirn, das tat sonst niemand. Sagt er. Ein Akt der Auflehnung. Vollmer erinnert sich noch genau daran, wie stickig und miefig es war in Deutschland vor 50 Jahren, da war die rebellische Geste leicht zu haben, mit einer Entscheidung: die Haare länger zu tragen.

Vollmer sitzt auf einem Stuhl, der Raum ist Arbeits- und Wohnzimmer zugleich. Sein Haar ist schütter geworden, die Stirn sieht man längst wieder. Aber sein Gesicht ist genauso fein wie früher. Das weiß man, weil Vollmer einem das Jugendfoto sogleich in die Hand drückt.

Ein anderes, eines der berühmtesten Fotos der Popgeschichte zeigt John Lennon in der Wohlwillstraße auf St. Pauli, er lehnt an einem Hauseingang. Ein junger Wilder in Lederjacke, ein perfektes Foto: Der Mann an der Tür ist scharf gestellt, verwischt huscht das Fußvolk vorbei. Vollmer, der Student, war von Klaus Voormann, der wie er auf der Kunsthochschule war, überredet worden, im Kaiserkeller zu einem Konzert einer jungen englischen Band zu gehen - es war wohl der wichtigste Moment im Leben Vollmers. Er selbst würde so etwas nie sagen, ja: würde dies rundweg abstreiten. Die Fotos, die damals entstanden, sie waren aus ästhetischer Sicht interessant für ihn und sind es auch heute noch. Aber sonst?

Es geht ihm um die historische Wahrheit, um eine Gerechtigkeit

"Die Beatles als Band haben mir nie etwas bedeutet, ich habe jahrzehntelang überhaupt nicht an mein Zusammentreffen mit ihnen gedacht", erzählt Vollmer. Wenn er über sie redet, tut er das trotzdem missionarisch. Weil es um die historische Wahrheit geht. Um Gerechtigkeit. Er denkt, dass sich alte Weggefährten mit fremden, mit seinen Federn schmücken. Er war es, sagt er, der die Frisur der Beatles erfunden hat.

Und nicht Astrid Kirchherr, die Wegbegleiterin von einst, ehemalige Freundin von Stuart Sutcliffe, dem "fünften Beatle", der 1962 in Hamburg an einer Hirnblutung starb. Kirchherr hat, behauptet Vollmer, jahrelang erzählt, dass sie die Beatles zu ihrem Haarschnitt inspirierte; sie habe Sutcliffe bei ihren Eltern in Altona die Haare geschnitten. Kirchherr, die auch die Beatles fotografierte, wurde zur beliebten Gesprächspartnerin von Beatles-Historikern. Für die war sie die Erfinderin der Frisur. "Das stimmt nicht, ich kann das beweisen!" ruft Vollmer. Er springt auf, er bewegt sich drahtig. Er zeigt das Foto, das ihn mit Pony-Schnitt zeigt. John Lennon schrieb 1967: "Jürgen trug die Haare glatt heruntergekämmt mit Fransen über der Stirn, das gefiel uns. Wir gingen zu ihm, und er schnitt - hackte wäre das passendere Wort - uns die Haare in diesem Stil."

Vollmer blickt triumphierend. "Mir ist wichtig, dass jeder weiß, wer den Pilzkopf erfunden hat", sagt er. Es wirkt ein bisschen seltsam, wenn ein älterer Herr, der doch seinen Frieden mit der Welt gemacht haben sollte, derart auf seinem Standpunkt beharrt. Das weiß Vollmer: "Ich will ja nicht als der alte Mann dastehen, der herumzetert". Das tut er aber doch, dabei lacht er und wirkt einigermaßen exotisch, umgeben von ziemlich ausgesuchtem Interieur. Der Teppich ist dick und aus Arabien, der Paravent aus Indien. An der Wand hängen ein Dolch und Schmuckteller (Talmi, kein Gold) aus Ägypten oder Marokko. "Ich habe da einem Fimmel", sagt Vollmer. "Hier soll es aussehen wie in einem arabischen Puff, nicht wie in einer großbürgerlichen Villa."

Da ist er, der Anti-Bürger Vollmer, der eine kindliche Freude spürt, wenn er die Sünden eines spießigen Zeitalters aufzählt. Grauenvoll sei die beengte und autoritäre Zeit gewesen, in der er jung war. Wie toll Vollmer sich aufregen kann, und wie schnell er sich dann selbst bremst: Selbstironisch, wie er ist. Vollmer redet über sich, als wäre er ein "Fall", und dann wieder, als wäre er exemplarisch. Aus Hamburg verschwand er kurz nach seiner Beatles-Bekanntschaft, er lebte ab 1961 in Paris. "Hamburg war damals anders als heute, einfach furchtbar", sagt Vollmer, ein Kind seiner Generation. Die Scham über die Schuld der Eltern brachte ihn, der unbedingt Künstler sein wollte, dazu, seine deutsche Herkunft stets zu verleugnen. "Ich sagte, ich sei Russe."

Und jemand, der immer ganz anders sein wollte, unbedingt. Ob er sich die Haare eigenwillig frisierte oder die Stadt, später den Kontinent wechselte. Fast drei Jahrzehnte lebte Vollmer in New York und Los Angeles. Er arbeitete als Set-Fotograf, meistens bei Hollywood-Produktionen. Scheußliche Filme, sagt Vollmer. Kein einziges seiner Bilder hängt in der Wohnung, der Mann hat seinen Job nicht gemocht.

Manchmal träumt er nachts vom Stress beim Film. Vielleicht ist er deswegen oft gereizt, wenn er auf die Beatles angesprochen wird. Weil die Fotos bedeutend sind. Etwas, was er danach nie mehr erreicht hat. Er sei, sagt Vollmer, "eigentlich nur stolz auf seine frühen Rock-'n'-Roll-Fotos". Er war fasziniert damals von der sexuellen Energie der Beatles, verklemmt war er selbst, verklemmt waren die meisten anderen. Kurze Zeit später war's schon anders. Vollmer fotografierte nicht nur Rockbands, sondern auch Liebende (und später, im New York der Siebziger, auch Pornografisches). Also das, was verpönt war - er ist stolz drauf. Über seine sexuellen Vorlieben will er natürlich nicht reden, sagt andererseits ungefragt und unumwunden: "Der wichtigste Antrieb in meinem Leben war immer Sex."

Er schaut noch nicht mal besonders herausfordernd, wenn er das sagt. Wenn man 71 ist, weiß man, wer man ist und warum. Und doch rumort es in Vollmer, da ist eine Unzufriedenheit. Wenn er zurückblickt, sieht er: wenig, was ihn hätte glücklich, vieles, was er hätte anders machen können. Er war ja ein guter Fotograf, sagt er, mit Talent. "Aber selbst wenn ich wusste, dass die Beatles in der Stadt sind, ja selbst wenn sie mich eingeladen haben, ich bin nie hin."

Man hätte sie ja noch mal fotografieren können. Sie haben oft gesagt, die "Fab Four", wie treffend Vollmer die frühen Tage der Band eingefangen hat. Vor ein paar Jahren hat McCartney einen Brief geschrieben. Irgendwann haben sie sich noch mal in Hamburg gesehen. Vollmer wollte allerdings nie von seiner alten Bekanntschaft profitieren, das war ihm zu billig.

Einmal wollte Romy Schneider ihn auf einen Cocktail einladen. Vollmer kam nicht. Er ging auch nie auf Partys. Er nennt das seine Sozialphobie, "sogar von einem Psychiater diagnostiziert". Sie war ihm aber wohl auch Ausrede. Vollmer beherrscht sie nicht, die Kunst des Smalltalks, des angenehmen und schmeichelnden Plauderns, "ich sage immer die Wahrheit". Wer nie (oder lange nicht) mit seinen frühen Großtaten, mit dem Glück, die Beatles zu kennen, wuchert, der ärgert sich dann eben auch darüber, wenn andere das tun. Astrid Kirchherr fährt heute zwar noch zu Beatles-Revival-Treffen von Fans, mit der Presse spricht sie jedoch nicht mehr. Vielleicht, weil sie das oft genug getan hat, vielleicht, weil sie uneitel ist.

Von Paul McCartneys Platten kennt er keine einzige

Vollmer ist seit 2006 im Ruhestand, seitdem hat er fast keine Fotos mehr gemacht. Er bekommt eine kleine Rente aus Amerika und eine aus Frankreich. Er geht jeden Tag (preiswert) essen, im Haus hat er nur Mineralwasser und Müsli. Er schreibt Briefe, wo andere E-Mails senden, und bringt Jugendlichen ehrenamtlich Englisch bei, "man will ja etwas an die nachfolgenden Generationen weitergeben". Man weiß nicht, ob er das ernst meint, aber es passt ganz gut zu seiner rüden Rede über die Beschissenheit seines Brotjobs als Fotograf beim Film: Er hätte Lehrer werden sollen, sagt er. Die Schüler haben ihm die CD von Peter Fox geschenkt, er lacht verschmitzt. Von McCartneys letzten Platten kennt er keine einzige.

Vollmer, der selbst ernannte Eigenbrötler, ist übrigens ein versierter, selbstironischer Erzähler. Mit Klaus Voormann, dem alten Freund, hat er kürzlich gebrochen. "Ich habe mich von ihm getrennt", so drückt Vollmer es aus. Weil Voormann Vollmers Brass auf Kirchherr, die Dritte im Bunde, nicht versteht. Vor Kurzem wollte jemand seine Fotos in Hamburg ausstellen, Vollmer lehnte ab, "da müsste ich ja zur Vernissage kommen".

Vollmer, der Existenzialist, der im Hamburg der späten Fünfziger und frühen Sechziger auffiel mit seinem dunklen Rollkragenpullover und dem Schal, ist der Lebenseinstellung von damals treu geblieben. Eigentlich ist, der Lehre Camus' und Sartres nach, der Mensch in ein feindliches Universum geworfen und dort ohnehin alles sinnlos. "Ich bin weder glücklich noch unglücklich mit meinem Leben, die Welt ist ohnehin ungerecht, wie kann man da überhaupt an das Gute in ihr glauben?"

Sein Leben lang wollte er nur mit schönen Menschen zu tun haben

Vollmer war wohl wirklich sein ganzes Leben lang Einzelgänger, er wirkt unergründlich und doch wieder nicht. Es sei noch von der Begebenheit berichtet, die sich im revolutionären Pariser Mai zutrug. Der Set-Fotograf und frühe (Frisur-)Rebell "Wollmär", so sprachen die Franzosen einen Namen aus, wurde Zeuge, wie die Pariser wieder einmal auf die Barrikaden gingen, "aber ich wollte damit eigentlich nichts zu tun haben, ich war Gast in diesem Land". Vielleicht lag es daran, dass er sich ja schon "befreit" hatte, in jedem Fall aber wirkt sein damaliger Unwille speziell. Wer jung war und wild, der ließ sich 68 nicht entgehen, schon gar nicht in Frankreich. Dass er am Ende doch in eine Barrikadenschlacht geriet, ist eine andere Geschichte. Er zeigte der Deneuve die blauen Flecke, die ihm die Polizisten beigebracht hatten. Die schöne Französin betrachtete seinen nackten Oberkörper, Vollmer hat's genossen. Er habe sein ganzes Leben lang nur mit schönen Menschen zu tun haben wollen, sagt er, "ist das nicht schrecklich peinlich?"

Jetzt meidet er die Menschen, er ist froh, allein zu sein. Die Menschen auf der Straße, gerade die alten, gehen die nicht gramgebeugt, weil sie glauben, nicht allein sein zu können, sehen sie nicht gerade deswegen einsam aus?

"All the lonely people, where do they all come from?" zitiert Vollmer, er sagt es mit den Beatles.