Hamburger Symphoniker spielten Beethoven und Tschaikowsky in der Laeiszhalle.

Hamburg. Was mag Tschaikowsky mit Beethoven verbinden? Gut, beide waren unbeweibt. Und, nun ja, in ihre Neffen verliebt. Was die Hamburger Symphoniker wohl weniger im Sinn hatten, als sie in hirem 6. Symphonie- konzert zwei klassische Schwergewichte aneinander wuchteten: Beethovens 5. und letztes Klavierkonzert und Tschaikowskys 6. und letzte Symphonie. Wäre Mozart als „Gegengewicht“ zu Tschaikowsky womöglich triftiger gewesen? „Nur bei ihm habe ich geweint und gebebt vor Begeisterung“, vertraute der Russe seinem Tagebuch an. Beethoven habe ihm eher „etwas wie Furcht und qualvolle Sehnsucht“ eingeflößt.

Womit schon gesagt ist, was die Sechste im Innersten zusammenhält. Seinem Lieblingsneffen gewidmet, der sich mit 35 Jahren das Leben nahm, klagt, seufzt und schluchzt die sogenannte „Pathétique“ nicht erst im abschließenden „Adagio lamentoso“. Schon das einleitende Fagottsolo, vollends das Blechbläser-Zitat aus der russischen Begräbnismesse im Durchführungsteil ließen an Tod und Vergänglichkeit denken. Umso mehr, als die Ereignisse von Donezk und Kopenhagen frisch im Gedächtnis waren.

Dass die Musik offenbart, was der Komponist seiner Mit- und Nachwelt in Worten verschwieg – daran ließ Ion Marin, der neue, sympathisch uneitle Erste Gastdirigent der Symphoniker, am Sonntagabend in der voll besetzten Laeiszhalle keinen Zweifel. Allein schon das Leitmotiv, besser Leidmotiv der fallenden Sekunde, das den ersten, zweiten und vierten Satz wie ein wanderndes Wundmal durchzieht, drückte aufs Gemüt. Entsprechend doppelbödig wirkte der Walzer des zweiten Satzes im Fünfvierteltakt. Unheimlich hingegen der Tarantella-Rhythmus des Scherzos, den der kontrastierende Geschwindmarsch derart höllisch auf- heizte, dass ein Teil des Publikums das Ende der Symphonie bereits für gekommen hielt. Vom vorzeitigen Beifall unbeirrt gab Marin den Einsatz zum finalen Lamento.

Wiewohl während der Einnahme Wiens durch Napoleon geschrieben, zeigt Beethovens „großes“ Klavierkon- zert in Es-Dur weder Trauermiene noch Zornesfalten. Auch bekommt der Solist keine Gelegenheit, sich mit Ex- travaganzen hervorzutun. Vielmehr bleibt er partnerschaftlich eingebunden ins sinfonische Geschehen. Womit dem französischen Klavierpoeten Jonathan Gilad genau die Rolle zufiel, die seinem Wesen entspricht. Dass Beethoven um 1809 romantische Züge angenommen hatte, ließen Solist und Orchester im Adagiosatz spüren, dessen Traumsphäre an Novalis erinnerte: „Romantisieren heißt, dem Endlichen einen unendlichen Schein geben.“ Dazu passend der vom Solohorn getragene Übergang zum heiter-pointierten Rondo-Finale, an dessen Ende sich Klavier und Pauke schattenhaft ver- schwören. Womit man auch erfuhr, was Tschaikowsky an Beethoven ängstigte.

Einen weiteren Glücksmoment bescherte Gilad dem entzückten Publikum mit seiner bezaubernd hingeperlten Zugabe, dem Fantaisie-Impromptucis-Moll von Chopin.