Die Lessingtage am Thalia zeigen Theater und Tanz im Geiste der Aufklärung

In diesen Tagen braucht man wenig Fantasie, um die Dringlichkeit eines Festivals mit einem gesellschaftlich relevanten Themenschwerpunkt zu betonen. Die Welt scheint tief gespalten, ideologisch, religiös und ökonomisch mit den bekannten Folgen der Radikalisierung, des Terrors und der Bürgerkriege. Da kommt das interkulturelle Festival am Thalia Theater gerade recht. Vom 24. Januar bis zum 8. Februar heißt es zum sechsten Mal „Um alles in der Welt – Lessingtage 2015“.

Passend zum Thema „Aufruhr“ laden wieder zahlreiche Theater-, Performance- und Tanz-Gastspiele, Konzerte, Eigenproduktionen, Vorträge, Rundgänge und Gespräche zur Auseinandersetzung mit den Ideen des Namensgebers. Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) hat in seinem Werk die Gedanken der Aufklärung und der Toleranz maßgeblich verbreitet.

Das Desaster um die mehr als 13 Jahre im Verborgenen wirkende Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) verarbeitet Elfriede Jelinek gewohnt wortgewaltig in ihrem Sprachoratorium „Das schweigende Mädchen“ (24.1., 20 Uhr, 25.1., 19 Uhr, Thalia Theater). Die hochkarätig besetzte Produktion der Münchner Kammerspiele eröffnet das Festival. Zum gleichen Thema zeigt Autor und Regisseur Nuran David Calis das auf eigenen Recherchen basierende Stück „Die Lücke“ vom Schauspiel Köln teils mit Bewohnern der dortigen Keupstraße.

Krisenschauplätze bilden einen weiteren Schwerpunkt. So erzählt die israelische Regisseurin Yael Ronen in „Common Ground“ (31.1., 20 Uhr, 1.2., 19 Uhr, Thalia Gaußstraße), das am Berliner Maxim-Gorki-Theater herauskam, vom Zerfall Jugoslawiens. Hierfür hat sich Ronen mit in Berlin lebenden Schauspielern aus Ex-Jugoslawien auf ausgiebige Recherchereise begeben.

Der ukrainische Theatermacher Andriy May wiederum hat aus Interviews unmittelbar nach den Unruhen in seiner Heimat die „Maidan Tagebücher“ (7.2., 20 Uhr, 8.2., 19 Uhr, Thalia Gaußstraße) entwickelt. Thalia-Oberspielleiter Luk Perceval ist zudem am 7. Februar (19 Uhr) im großen Haus mit einer in St. Petersburg herausgekommenen Neuinszenierung von Shakespeares „Macbeth“ vertreten. Weitere internationale Großproduktionen gibt es etwa von dem jungen chinesischen Theatermacher Meng Jinghui, der Festival-Entdeckung des vergangenen Jahres, der in „Bernstein“ (29./30.1., jew. 20 Uhr, Thalia Theater) von Liao Yimei von der Fragwürdigkeit sozialer Medien auf der Folie einer skurrilen Liebesgeschichte erzählt.

Die Sparte Tanz ist mit dem algerischen Choreografen Abou Lagraa und „El Djoudour (Roots)“ (5./6.2., 20 Uhr, Thalia Theater) vertreten. Inneneinsichten in ein schwieriges Umfeld als Künstler bietet Festivalliebling Kornél Mundruczó in „Dementia“ (3.2., 20 Uhr, Thalia Theater). Der Abend erzählt von einer entgleisenden, letzten Weihnachtsfeier auf einer Psychiatriestation und diagnostiziert eine tragische Kultur des Vergessens für die ungarische Gesellschaft, in der Nationalkonservative Kulturgelder nur noch an ihnen genehme Künstler verteilen. Lessing hätte das gefallen.

„Um alles in der Welt – Lessingtage 2015“ Sa 24.1.– So 8.2., Thalia Theater und diverse Orte, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de