Lassen wir die Sender entscheiden, was wann zu sehen ist – oder stellen wir unser Programm künftig selbst zusammen?

Hamburg. Im Augenblick sind es die großen Namen, mit denen Streamingdienste wie Netflix und Amazon Prime versuchen, dem klassischen Fernsehen Konkurrenz zu machen: Netflix hat Kevin Spacey in „House of Cards“, und vergangene Woche kündigte Amazon an, dass der ehemalige Online-Buchhandel, der immer mehr zum Allrounder in Sachen Unterhaltung wird, Woody Allen als Autor und Regisseur für eine Serie verpflichten konnte.

Trotz aller Bemühungen um exklusive Inhalte hat die Konkurrenz aus dem Netz aber bislang noch keinen nennenswerten statistischen Effekt auf den klassischen Fernsehkonsum in Deutschland gehabt: Die durchschnittliche Nutzungsdauer ist in den vergangenen fünf Jahren bis auf wenige Minuten stabil geblieben. 221 Minuten am Tag sind es laut der aktuellen Studie der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung. Das Fernsehen profitiert dabei von mehreren Aspekten: Zum Ersten ist es nahezu überall verfügbar. Durchschnittlich 78 Sender empfängt ein deutscher Haushalt, von den großen öffentlich-rechtlichen Anstalten bis hin zum kleinsten Spartensender. Empfang über Kabel, Satellit oder DVB-T ist in vielen Mietverträgen bereits enthalten. Und in mehr als 95 Prozent aller Haushalte steht mindestens ein Fernseher. Zum Zweiten ist TV-Konsum ein Verhalten, das auf breiter Front in der Gesellschaft verankert ist. Keinen Fernseher zu haben ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Die allermeisten Personen kennen den Fernseher als Mittel der Unterhaltung und Information seit frühester Kindheit. Und zum Dritten ist Fernsehen einfach: Mehr als einen Knopfdruck braucht es nicht, schon läuft das Programm.

Fernsehen bei Live-Berichterstattung überlegen

In Sachen Live-Berichterstattung genießt der Fernseher ebenfalls einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Es ist technisch gesehen egal, ob drei oder zehn Millionen Menschen ein Fußballspiel, eine Show oder Nachrichtensendungen einschalten. Der Livestream im Internet hingegen funktioniert umso besser, je weniger Menschen ihn gleichzeitig aufrufen. Viele Zugriffe führen zu Bild- und Tonaussetzern bis hin zum Abbruch des Streams, wie man zum Beispiel bei den Spielen der Fußball-WM im vergangenen Sommer sehen konnte.

Zwar ist ein Internetzugang mittlerweile fast ebenso sehr Standard wie der Fernsehempfang – in mehr als 80 Prozent der deutschen Haushalte ist ein Breitbandanschluss vorhanden –, doch ist die regelmäßige Nutzung von Video-portalen und Mediatheken der Fernsehsender vergleichsweise selten. 500.000 Zugriffe auf einen „Tatort“ gelten der ARD schon als herausragendes Ergebnis. Und das, obwohl die Mediatheken kostenfrei abrufbar sind und somit gleichsam als Ersatz für den Videorecorder gelten können. Die Streamingportale wiederum sind nicht nur mit zusätzlichen Kosten verbunden, sie bieten auch (noch) nicht die Bequemlichkeit, die man vom Fernseher gewohnt ist. Man bekommt dort kein fertiges Programm serviert, man muss selbst tätig werden. Das gilt all jenen als Pluspunkt, die sich vom Fernsehprogramm nicht diktieren lassen wollen, wann ein Spielfilm, wann eine Dokumentation und wann eine Serie laufen soll. Es schafft für alle anderen aber eine zusätzliche Hürde, die dadurch noch höher wird, dass es moderner Unterhaltungstechnik bedarf, um überhaupt in altbewährter Weise gucken zu können. Den Abend vor dem Computer statt vor dem Fernseher zu verbringen, ist für viele keine Alternative.

Personalisiertes Programm fördert Vereinzelung

Und selbst wenn der Fernseher all das darstellen kann, was es im Internet zu sehen gibt, bleibt das Problem der Auswahl. Die Anbieter nähern sich ihm mit Software und Nutzerbefragungen, mit der Verbindung zu sozialen Netzwerken und der Erstellung ausführlicher Datensätze. Das personalisierte Programm, das vollautomatisch Vorschläge macht, ist das Ziel. Das aber ist nicht unumstritten, geht es doch einher mit der möglichst umfassenden Durchleuchtung der Kunden, um herauszufinden, was ihm gefällt.

Das von öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern als Gesamtes gemachte Fernsehprogramm wird sich ganz sicher auch in Deutschland verändern, aber vollständig verschwinden wird es nicht. Vielleicht wird sich der Verbreitungsweg über das Netz irgendwann etablieren, aber das Prinzip Fernsehen wird erhalten bleiben. Lineares Fernsehen stiftet auch eine Gemeinschaft, die die Videoportale nie leisten können. Natürlich sitzt man allein vor dem Fernseher – aber das Gefühl, dass gerade auch Millionen andere Menschen Fußball oder die tägliche „Tagesschau“, den „Tatort“ und das Dschungelcamp verfolgen, wird sich so schnell nicht verdrängen lassen.