Das Performance-Kollektiv She She Pop zeigt „Frühlingsopfer“ auf Kampnagel

Familie ist kompliziert. Familie tut auch manchmal weh. Die Beziehungen zwischen Eltern und ihren Kindern sind häufig ein Quell lebenslanger Auseinandersetzung. Die Hamburg-Berliner Performancegruppe She She Pop schöpft daraus berührendes Theater. 2010 haben sie in „Testament“ auf der Folie von Shakespeares „König Lear“ sehr persönlich über Tauschgeschäfte der Generationen räsoniert und dazu mit ihren Vätern sogar die Bühne geteilt. Es gab Kritikerlob, Preise sowie landesweit ausverkaufte Vorstellungen und auch in Hamburg.

Vier Jahre später untersuchen sie in „Frühlingsopfer“ das Verhältnis zu ihren Müttern. Auch hier dient ein Klassiker der Theaterliteratur als Vorlage, Igor Strawinskys „Le Sacre du Printemps“. Vom 15. bis zum 17. Januar gastiert die Produktion auf Kampnagel. Diesmal haben Johanna Freiburg, Sebastian Bark, Ilia Papatheodorou und Berit Stumpf ihre Mütter um Mitarbeit gebeten. Sie wollten dabei alles anders machen, sicher auch, weil das Ringen um Distanz wohl größer gewesen ist. Auch hatten die Mütter die Abwesenheit der Väter durch die vielen „Testament“-Reisen beklagt. Und so blicken die Mütter diesmal von der Leinwand auf die Zuschauer herab.

Der Strawinsky-Klassiker dient als Folie für familiäre Opferrituale

Erneut finden die Performer eine Übertragung in Anlehnung an Strawinskys Ballettkomposition und deuten gleichsam die Selbstopferung einer Jungfrau an den Frühlingsgott im Original zu einem Ritual um, um sich von einem übermächtigen Mutterbild zu befreien. Naturgemäß kommen hier auch jene Vorwürfe auf den Tisch, von den Müttern, die sich für ihre Töchter aufgeopfert haben, und von den Töchtern, die sich den viel zu hohen Erwartungen der Mütter ausgeliefert fühlten.

Auch diesmal sucht die Gruppe nach einer theatralen Radikalität jenseits plakativer Klischees und breitet sehr authentische und persönliche Erfahrungen durchaus mutig und physisch erfahrbar vor dem Publikum aus. Das enthält auch Momente der Selbstentblößung. Ein bisschen wie in der Psychotherapie eben. Dass das als Theaterabend den Premierenberichten zufolge gelingt, ist dem stets klug überhöhten, lakonischen Ton der She-She-Pop-Performer zu verdanken. Freiburg konnte es nicht ertragen, dass ihre Mutter auf Partys tanzte. Und Sebastian Bark fühlte sich von seiner Mutter mit Idealen überfrachtet. Drei der Mütter bekennen, für Ehe und Kinder eigene Wünsche zurückgestellt zu haben.

Heute, in Zeiten der Selbstverwirklichung, ist das Opfer völlig aus der Mode gekommen. „Testament“ bezog seine Kraft auch daraus, dass die Väter und Töchter sich während der Proben neu kennengelernt haben und das Generationenthema auf mehreren Ebenen verhandelten. Die Mutter, diese Urzelle menschlicher Begegnung und Verbundenheit, ist da ein von vornherein intimerer Gesprächspartner. Ein Projekt, das jeden Zuschauer individuell im Kern berühren dürfte.

She She Pop: „Frühlingsopfer“ Do 15.1.–Sa 17.1., jew. 20.00, Kampnagel (Bus 172, 173), Jarrestraße 20-24, Karten zu 18,-/erm. 12,- unter T. 27 09 49; www.kampnagel.de