Wer in Afghanistan, Indien oder im Ost-Kongo als Mädchen geboren wird, gilt als Ware oder Objekt. Die Liste der bedrohlichen Länder muss jetzt um den Irak, um Syrien und Nigeria ergänzt werden. Ein Report der Hamburger Fernseh-Journalistin

Wir wenden uns ab. Wollen nichts hören, sehen, lesen, wie die drei Affen in der japanischen Stadt Nikko. Aber was derzeit mit Millionen Mädchen und Frauen im Nord-Irak, in Indien, in Nigeria oder im Kongo geschieht ist unfasslich. Sie werden verkauft, vergewaltigt, auf brutalste Weise ihrer Genitalien beraubt. Sie sind nichts wert, sind nur Ware oder Objekte, um Gesellschaften endgültig und nachhaltig zu zerstören.

Afghanistan, Indien und der Ost-Kongo stehen auf einer UN-Liste ganz oben. Es sind die Länder, in denen es am lebensgefährlichsten ist, als Mädchen geboren zu werden. Die Liste muss jetzt aber auch um den Irak, um Syrien und um Nigeria ergänzt werden.

„Kleine Mädchen zwischen ein und neun Jahren bringen 134 Euro “

Ein Video aus einer syrischen Region unter der Terrorherrschaft der IS schockt derzeit im Internet: „Kleine Mädchen zwischen ein und neun Jahren bringen 134 Euro, ältere Frauen sind nicht einmal mehr die Hälfte wert.“ Das ist die neue Wirklichkeit auf dem Sklavenmarkt der Terrorgruppe IS.

Auf dem Video kichern die Männer, rutschen aufgeregt auf einem Sofa hin und her, zupfen sich an den Bärten. „Heute ist Sklaven-Tag und jeder sollte was abbekommen“, ruft der eine in die Kamera. „Wo ist mein jesidisches Mädchen?“, ein anderer. Die Terroristen leiten sich ihren Umgang mit dem nicht-islamischen weiblichen Geschlecht vermeintlich aus dem Koran und einigen Suren ab. Auf perfide Weise wird hier der Glaube zum Instrument ihres Handelns degradiert.

„Für IS sind Frauen der religiösen Minderheiten Vieh und nichts wert. Nach ihrer Auffassung, dürfen sie mit den Frauen machen, was sie wollen“, erklärt Terrorismus-Experte Prof. Peter Neumann vom Londoner King's College deutschen Journalisten.

Deswegen werden vor allem die nicht-muslimischen Mädchen und Frauen der christlichen Jesiden geraubt, innerhalb der Terroristen-Gruppe verkauft, zwangsverheiratet oder in Massen-Gefängnisse gesteckt. Nur zu Vergewaltigungs-Orgien herausgeholt. Und, so berichten verzweifelte jesidische Eltern, gezwungen über mobile Telefone ihren Eltern von den Vergewaltigungen zu berichten. Perverser geht es wohl kaum noch.

Nach Berichten von Humans Right Watch sind es mindestens 1500 christliche Mädchen und Frauen, die in der Gewalt der Terrormiliz auf eine Befreiung hoffen. Die als Ware gehandelt werden, zum Islam gezwungen und einem Milizionär zur Belohnung übergeben werden, wenn er „gute Arbeit“ geleistet hat. Im Augenblick stehen allein 31.000 Männer bei der IS unter Waffen. Ihr aller Gesetz ist die Scharia. Was vor allem für Mädchen und Frauen dramatische Auswirkungen hat. Auch dazu ist das Internet die Haupt-Informationsquelle.

In Indien gaben sich Vergewaltiger einer Japanerin als Touristenführer aus

Aber was die IS-Terroristen den Mädchen und Frauen antun, ist nur eine der unglaublichen Geschichten, die derzeit auf der Welt passieren. So erreichen uns aus dem bisherigen Traum-Reiseland Indien ebenfalls unverändert Horror-Berichte. Indien ist anscheinend inzwischen ein Vergewaltigungsland. Ein neuer brutaler Fall sorgt jetzt für Aufsehen. Zwei Brüder wurden nach Behördenangaben im Januar wegen der wiederholten Vergewaltigung einer japanischen Touristin festgenommen. Sie hatten sich der jungen Frau als Touristenführer angedient. Aber damit war schnell Schluss. Die 22-Jährige wurde von den Männern drei Wochen lang unter Waffengewalt in einem unterirdischen Raum festgehalten und vergewaltigt. Erst als sich der Gesundheitszustand der jungen Frau dramatisch verschlechterte, brachten die Vergewaltiger die Japanerin selbst in ein Krankenhaus. Dort gelang ihr die Flucht.

Sexuelle Gewalt ist in Indien weiter verbreitet, als wir es ahnen. Aber erst als vor zwei Jahren die grausame Vergewaltigung der 23jährigen Nirbaya weltweit für Empörung sorgte, wachte auch die indische Politik auf. Die Studentin war auf Grund ihrer dramatischen inneren Verletzungen durch eine rostige Eisenstange nach mehreren Operationen in Singapur gestorben. „Ich will doch nur leben“, hatte sie damals ihrer Mutter noch zugehaucht. Sie hat es nicht geschafft.

Auch wenn Tausende Inderinnen daraufhin auf den Straßen demonstrierten, auch wenn die Regierung erstaunlich schnell neue Strafgesetze erließ, hält die sexuelle Gewalt gegen Frauen in Indien unvermindert an. Die aktuelle Regierungsstatistik sagt: Alle 22 Minuten wird eine Frau vergewaltigt. Allein in Neu Delhi sind im vergangenen Jahr rund ein Drittel mehr Vergewaltigungen gemeldet worden als noch 2013. Das aber sind nur die offiziellen Zahlen. Keiner wagt hochzurechnen, wie die Realität für Frauen in Indien aussieht. Zudem werden auch immer mehr Ausländerinnen vergewaltigt. Als Folge dieser schockierenden Entwicklung ist die Zahl der Touristen in Indien rapide gesunken. Vielleicht bringt das die Justiz und die Polizei zum Nachdenken und schnelleren Handeln.

In Afghanistan werden noch immer drei von vier Frauen zwangsverheiratet

Noch führt Afghanistan die UN-Liste der für Mädchen und Frauen gefährlichsten Länder an. Es sieht nicht so aus, als würde sich da schnell etwas ändern. Denn mit dem Abzug der Nato-Kampftruppen nimmt die Angst der rund 17 Millionen Frauen wieder zu. Auf der Afghanistan-Konferenz im vergangenen Dezember in London sollte die neue Regierung ihre Vision für die Zukunft präsentieren, die internationale Staatengemeinschaft im Gegenzug ihre Unterstützung. Doch Präsident Ashraf Ghani hat es noch nicht einmal geschafft, eine handlungsfähige Regierung aufzustellen. Und die Terroranschläge der Taliban haben in den vergangenen Wochen weiter zugenommen.

Wazhma Frogh ist eine der bekanntesten Frauenrechtlerinnen Afghanistans. Sie plädiert für eine ehrliche Bestandsaufnahme nach London: „Wir schütten ziemlich viel Zuckerguss über die Realität. Für den Westen waren die Frauenrechte doch vor allem ein Schlüssel, um die eigene Bevölkerung vom Afghanistan-Einsatz zu überzeugen. Nach dem Motto: Guckt mal, wie viele Rechte die afghanischen Frauen jetzt haben. Aber die Realität ist anders. Ja, wir können heute zur Schule gehen. Aber wir werden auf dem Weg getötet. Ja, wir dürfen arbeiten gehen. Aber wir werden vergewaltigt.“

Und leider ist es bis heute noch so, dass drei von vier Frauen zwangsverheiratet werden, meistens noch vor ihrem 16. Geburtstag. Auch und gerade in Afghanistan sind Frauen Handelsware. Sie gehören den Vätern, den Ehemännern. Nicht sich selbst. Sie sind nämlich nur als Besitz eines Mannes, Vaters, Bruders und sogar eines später erwachsenen Sohnes etwas wert.

Der neue Präsident Ghani wird sich wohl noch lange nicht an das Gesetz seines Vorgängers Hamid Karzai aus dem Jahre 2009 wagen, in dem verordnet wird, dass eine Frau ihrem Ehemann sexuell zur Verfügung zu stehen hat. Wenn nicht, darf sie geschlagen, vergewaltigt oder eingesperrt werden. Solche Ehemänner jedenfalls erwartet keine gesetzliche Strafe.

In keinem Land der Welt zünden sich so viele Frauen mit Kerosin an, um sich das Leben zu nehmen. Alleine in Kabul werden bis heute in der Brandstation der größten Klinik jeden Tag zehn schwer verbrannte Frauen eingeliefert. Sie haben es einfach nicht mehr ausgehalten in ihrem Leben. Sie wollten nur noch sterben.

Noch bitterer aber wird es, wenn eine Frau nicht den Tod sucht, sondern „nur“ aus ihrer Zwangsehe fliehen will. Weil sie geschlagen und vergewaltigt wird. Zur Polizei sollte sie möglichst nicht gehen. Dort erfährt sie keine Unterstützung. Denn das sind auch afghanische Männer, welche die flüchtende Ehefrau wieder in ein Gefängnis stecken, weil sie die Ehre der Familie des Mannes beschmutzt hat. „Verbrechen gegen die Sittlichkeit“, wird das Weglaufen genannt, vor allem, wenn die Frau alleine auf der Straße unterwegs war. Da ist sie ja mit Sicherheit fremden, anderen Männern begegnet. In Afghanistan ist noch lange nichts gut, schon gar nicht für Mädchen und Frauen. Auch wenn der Präsident jetzt eine 30köpfige Expertinnen-Kommission einberufen hat, auch wenn seine christliche Ehefrau Rula Ghani den Afghaninnen zur Seite stehen will und am liebsten die Burka aus dem öffentlichen Bild verbannt hätte.

In den Wäldern im Ost-Kongo treiben mehr als 50 Terror-Milizen ihr Unwesen

Noch weiter aus unserem Blickfeld ist der Ost-Kongo verschwunden. Krieg seit 16 Jahren. Ein Krieg, der auf den Körpern der Frauen ausgetragen wird. So jedenfalls sagte das auch der Gynäkologe Dr. Denis Mukwege bei seiner Dankesrede zum Sacharow-Preis im vergangenen Dezember. „L´homme, qui repare les femmes“, wird er genannt. Der Mann, der „die Frauen repariert“. Das klingt brutal, ist aber genau das, was dieser engagierte, begnadete kongolesische Arzt seit Jahrzehnten macht. In der Panzi-Klinik, hoch über dem Kuvu-See im Osten des geplagten Landes. Finanziert unter anderem von der UN-Hilfsorganisation Unicef.

Im Interview sagt der Arzt bewegt: „Dieser Preis ist die Anerkennung des Kampfes der Frauen in der Demokratischen Republik Kongo. Es ist der Respekt für ihren nunmehr 16-jährigen Einsatz gegen sexuelle Gewalt. Der Preis zollt den Frauen Respekt, ihrem Leid und dass sie trotz der Gräueltaten immer wieder aufstehen. Es ist eine Anerkennung der Errungenschaften dieser Frauen.“

Im Ost-Kongo geht es um Gold, Geld und Coltan. Über 30 wertvolle Metalle lagern in der Erde. Vor allem für unsere Handys werden sie gebraucht. Bis heute treiben über 50 Terror-Milizen dort in den Wäldern ihr Unwesen, überfallen die Dörfer und nachdem sie die Männer umgebracht haben, vergewaltigen und malträtieren sie die Mädchen und Frauen. Dr. Mukwege berichtet zwar, dass die Gewalttaten weniger geworden sind, die Zahl der Angriffe sei nicht mehr so hoch. Aber die Art der Gewalt habe sich sehr verändert. Das mache ihm Sorgen. In Bukavu kommen immer mehr Kinder zur Welt, weil die Mütter vergewaltigt worden sind. Sie sind nicht getötet worden, aber ihre Genitalien sind komplett zerstört. Das ist eine Form der Gewalt, die das Ziel hat, eine ganze Gesellschaft zu traumatisieren. Wenn so etwas straffrei passiert, wie kann man von Frieden sprechen?

In Nigeria noch immer verschollen: die 300 Schülerinnen in Nigeria

Vollkommen vergessen scheinen die fast 300 Schülerinnen in Nigeria, die die islamistische Gruppierung Boko Haram im letzten Jahr im April entführt hat. „Bring back our girls“, dieser Aufruf hat zwar die Welt kurz aufgerüttelt. Auch auf Grund des Einsatzes der Frau des US-Präsidenten Michelle Obama. Aber die nigerianische Politik verharrte erstaunlich ruhig, angebliche Offensiven des Militärs im Norden des Lands versickerten im Sande. Die Demonstrationen der wütenden Bevölkerung prallten an der Untätigkeit ihrer Regierung einfach ab. Wo sind die Mädchen? Wir haben Bilder gesehen, wie sie alle im persischen Hidschab verhüllt auf einer Wiese sitzen und mit versteinerten Mienen in die Kamera blicken. Bis heute? Keiner weiß was. Angeblich seien sie alle schon zum Islam übergetreten und an Boko-Haram-Kämpfer verheiratet worden. Oder gar als Bräute ins Ausland verkauft. Aber Boko Haram ist nicht so gut im Internet aufgestellt wie die IS-Milizen. Aktueller Stand über die Entführungen? Keiner. Es ist einfach nur wieder ein Beispiel, dass Frauen einfach nichts wert sind.

Maria von Welser, „Wo Frauen nichts wert sind – vom weltweiten Terror gegen Mädchen und Frauen“, Ludwig-Verlag, 19,99 Euro